Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
Vom Netzwerk:
über den Kai, um an Bord zu gehen. Cara reihte sich ein und beobachtete, wie er das Fahrgeld achtlos in eine Metallkiste stopfte, als Fahrschein einfache Zettelchen per Hand mit dem Preis auszeichnete und diese den Fahrgästen reichte. Technisch nicht gerade revolutionär, aber wirkungsvoll, befand Cara und bewunderte die säuberlich geschriebenen Zahlen und Buchstaben. Als sie an der Reihe war und ihr Portemonnaie zückte, wehrte er ab. „Lassen Sie nur“, sagte er.
    Cara schüttelte den Kopf. „Vielen Dank, aber ich zahle lieber.“
    Er zögerte, zuckte dann mit den Schultern und nahm das Geld entgegen.
    Sie fand einen freien Platz im Bootsheck. Vor ihr saßen zwei Damen mittleren Alters, die wie Schulmädchen kicherten und sich gegenseitig vernehmlich zuflüsterten, für wie gut aussehend sie den Tourenleiter hielten. Nunmehr richteten sich Caras Augen und die aller anderen Teilnehmer auf den besagten Führer, der zunächst vom Bootsrand auf den Kai sprang, um die Taue zu lösen, und dann mit gekonnter Flanke wieder zurück über die Bordwand setzte – alles mit der Leichtigkeit und Eleganz eines Douglas Fairbanks. An Bord herrschte prächtige Stimmung; Fotoapparate wurden gezückt, Scherze flogen hin und her, und alles wartete gespannt darauf, dass das Boot in See stach. Cara freute sich über das bunte Treiben, saß aber still und allein auf ihrem Platz und ließ das Szenario auf sich einwirken.
    Plötzlich sprangen die mächtigen Motoren an, das ganze Boot vibrierte, die Schrauben begannen sich zu drehen, und behutsam legte das Ausflugsschiff mit dem Heck voraus vom Kai ab. Es wendete in einem weiten Halbkreis, nahm Kurs auf die Fahrrinne, und dann hieß es volle Kraft voraus. Die Kinder drängelten sich an der Reling, hingerissen vom Anblick der herrlich schäumenden Gischt und der breiten Bugwelle. Der Fahrtwind nahm zu, und mit ihm stieg die Stimmung an Bord. Es ging los!
    Der Skipper folgte zunächst dem Intracoastal Waterway, einer unmittelbar hinter der Küste verlaufenden Binnenwasserstraße, die sich von den Florida Keys im Süden bis hinauf nach Boston im Norden erstreckte. Sie war im Jahre 1942 angelegt worden, als man zwei natürliche Wasserwege verbunden hatte, sodass der Schiffsverkehr praktisch durch das Binnenland verlief und der Nachschub während des Zweiten Weltkriegs sichergestellt war. Die Fahrt ging Richtung Capers Island, einer kleinen, der Küste vorgelagerten Insel, die unter Naturschutz stand.
    Während die Fahrgäste den Panoramablick auf Wasser und Marschland genossen, ließ Cara den Mann am Steuer nicht aus den Augen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und kam ihr hünenhaft wie ein Wikinger vor. Schließlich war er einen ganzen Kopf größer als die anderen Männer an Bord. Die blauen Hemdschöße flatterten im Fahrtwind; die aufgekrempelten Ärmel enthüllten gebräunte Unterarme und zupackende Hände. Auch wenn Cara hinten im Heck saß, spürte sie doch, dass er sich ihrer Gegenwart wohl bewusst war. Die Spannung knisterte einfach zu stark, als dass sie nur von einer Person hätte ausgehen können.
    Von Zeit zu Zeit übergab er, während das Ausflugsboot dahintuckerte, das Steuer seinem Gehilfen, um den Fahrgästen die Landschaft zu erläutern. Er bezeichnete sich selbst als Umweltaktivisten, und schon bald wurde allen klar, dass dies keine leere Phrase war. Er strahlte fachliche Kompetenz aus, sprach in einfachen, prägnanten Sätzen und spulte eine unglaubliche Menge an Fakten über die Region, ihre Geschichte und ihre maritime Fauna herunter. Fasziniert hörten die Passagiere ihm zu. Seine Erklärungen untermalte er nicht mit großer Gestik, wie es Palmes Art war. Er wirkte vielmehr wie ein Lehrer, weniger wie ein Geschichtenerzähler, konnte aber dennoch die Häutung eines Krebses so spannend darstellen, dass eine Gespenstergeschichte auch nicht aufregender gewesen wäre.
    Als souveräner Tourenprofi sparte er den Clou bis zum Schluss auf. Das Boot verlangsamte seine Fahrt und drehte bei, er langte über die Bordwand und zog eine kleine, auf den Wellen tanzende rote Boje an Bord. Während sämtliche Ausflügler sich gespannt auf ihren Sitzen vorbeugten, bückte er sich tief hinunter und zog an dem langen Tau, das an der Boje befestigt war. Aus dem Wasser tauchte ein großer schwarzer, triefender Drahtkäfig auf. Kinder und Frauen kreischten auf, als sie bemerkten, was er enthielt: mehrere blaue Krebse, die drohend mit ihren Scheren fuchtelten. Der große Mann hingegen

Weitere Kostenlose Bücher