Nur dieser eine Sommer
dass ich einmal in seine Fußstapfen trete und den Familienbetrieb übernehme. Denn im Grunde ist es das, ein Familienbetrieb. Lotse wird schließlich nicht jeder! Dazu muss man geboren sein. Es ist ein harter Job, regelrecht gefährlich zuweilen, und die Lotsen müssen einander vertrauen. Niemand darf sich bei diesen Riesentankern einen Fehler erlauben! Einige davon sind mehr als zweihundert Meter lang!“
„Unglaublich!“
„Ich hab schon miterlebt, wie mein Daddy eins von diesen Ungetümen unter der Brücke durchgelotst hat, als wär’s ein Außenborder! So einfach!“
„Wieso bist du dann nicht auch Hafenlotse geworden? Ganz offensichtlich liebst du doch Schiffe und Wasser! Der Beruf wäre dir doch auf den Leib geschneidert gewesen!“
„Sicher, dran gedacht hab ich schon. Mein Vater hätte es gern gesehen, und gut verdienen tut man auch. Allerdings sind Lotsen rund um die Uhr in Bereitschaft, und zwar sieben Tage die Woche. Das war nichts für mich. Im Übrigen interessiere ich mich mehr für das, was
im
Wasser ist, als für das, was darauf schippert.“
„Und deshalb hast du dich in Clemson immatrikuliert?“
„Richtig. Ich erwarb mein Diplom in Biologie, Hauptfach Meereswissenschaften. Ich habe lange Zeit alle möglichen Forschungen an genau dieser Küste betrieben, war auch vorübergehend für eine Landesbehörde tätig. Besonders aufregend fand ich’s nicht. Am besten gefiel mir der Außendienst. Aber Verwaltungskram, das ist nicht meine Kragenweite. Ich bin zwar gern unter Menschen, doch eigentlich ein Einzelgänger. Wie du! Wahrscheinlich hat mich das an dir so fasziniert, selbst damals zu Schulzeiten schon.“
Sie grinste verschmitzt. „Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen, denn du hast dich seinerzeit völlig anders verhalten. Damals wirktest du wahrlich nicht wie ein Einzelgänger. Dauernd warst du von einem ganzen Hofstaat von Kumpels und dich anhimmelnden Mädels umringt.“
„Na, und wenn schon. Ich war jung und meinen Hormonen verfallen.“
„Und heute?“
„Na, die Hormone sind nach wie vor aktiv, falls du das meinst. Aber kultivierter. Kontrollierter.“ Er starrte in die Glut. „Und ansonsten: Was soll ich sagen? Vor etwa zehn Jahren habe ich die Firma gegründet, und bis jetzt läuft sie ganz ordentlich.“
„Soweit ich das beurteilen kann, ist das ja wohl eine Untertreibung!“
Er zuckte die Achseln. „Ich habe mittlerweile expandiert und bin an zwei Standorten vertreten. Jetzt will ich eine dritte Zweigstelle eröffnen. Zum ersten Mal reizt mich die Aussicht, dass ich ganz hübsch verdienen könnte. Andererseits bin ich nicht versessen darauf, an einem Schreibtisch über der ganzen Büroarbeit zu versauern.“
„Dein kreatives Buchhaltungssystem ist mir bereits aufgefallen.“
„Na ja“, meinte er und kratzte sich hinter dem Ohr, „auf dem Gebiet könnte ich eigentlich Unterstützung gebrauchen. Bisher habe ich meine Entscheidungen nie auf der Basis von finanziellen Überlegungen getroffen und möchte auch gar nicht erst damit anfangen. Es kommt irgendwie alles hin, denke ich. Das ist ja meistens so.“ Er zupfte an einem Grashalm. „Mit zunehmendem Alter interessiert man sich für andere Dinge.“
Seine Worte hinterließen einen tiefen Eindruck bei Cara. Sie fühlte sich angezogen, war aber dennoch ein wenig misstrauisch und merkte, dass er ihr langsam unter die Haut ging.
„So ist das eben, wenn man vierzig wird“, stellte sie fest.
„Die alte Fahrradtheorie von Tolstoi.“
Sie lachte und betrachtete ihn. „Was soll das denn sein?“
„Tolstoi schrieb
Krieg und Frieden
, als er schon vierzig war. Erst mit sechzig lernte er das Radfahren. Das macht einem doch Hoffnung, oder?“
„Also, mir durchaus.“ Sie räkelte sich und schaute wieder zu den Sternen empor. „Was kann man mit vierzig Neues, Unbekanntes in Angriff nehmen? Die Frage stelle ich mir zuweilen. Vermutlich könnte ich den Segelschein oder den Bootsführerschein machen. Oder Fischen und Angeln lernen. Oder sogar Austern ernten.“ Sie klimperte bedeutungsvoll mit den Wimpern. „Ich weiß ja jetzt, wo!“
„Niemand von denen, die mit mir schon mal hier waren, würden diesen Hammock wieder finden. Bei dir wäre ich mir da nicht so sicher.“ Er drehte sich auf den Bauch, stützte sich aber weiter auf die Ellbogen ab und blickte auf Caras Gesicht hinunter. „Und wie sieht’s mit dir aus?“
„Was soll mit mir sein?“
„Erzähl mit von deinem Leben. Von den zwanzig Jahren,
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