Nur du weckst diese Sehnsucht
unbeschriebenen Blatt, das darauf wartete, von jemandem mit persönlichen Worten beschrieben zu werden. Alles wirkte irgendwie vorläufig.
Doch Memphis schien die Kargheit nicht zu stören. Er warf seinen Schlüssel auf den Küchentisch und lehnte sich mit der Hüfte an die Arbeitsplatte, während er Kate beobachtete.
„Nicht gerade sehr liebevoll eingerichtet“, bemerkte sie trocken. Dann fiel ihr Blick auf einige gerahmte Fotos, die auf dem Boden an der Wand lehnten, als wäre es zu viel Arbeit, sie aufzuhängen.
Für einen Augenblick sah er aus, als bereute er, sie mit in die Wohnung genommen zu haben. „Ich habe keine großen Ansprüche. Und selbst wenn ich Wert auf schicke Innenausstattung legen würde, wäre ich nie lange genug hier, um sie wirklich genießen zu können. Ich habe hier alles, was ich brauche: eine günstige Lage, einen Kühlschrank …“ Sein Kopf neigte sich fast unmerklich. „Und ein Bett.“
Ein vielsagendes Schweigen erfüllte den Raum. Sein Gesichtsausdruck blieb unbeweglich, nicht einmal ein funkelnder Blick war nötig. Eingefasst von dichten dunklen Wimpern, verströmten die karamellbraunen Augen auch so eine alles durchdringende sexuelle Energie, ob er wollte oder nicht.
Ihr wurde klar, dass er sie mitgenommen hatte, um sie zu verunsichern. In ihrer Brust schlug ihr Herz hart gegen die Rippen, und ganz gleich, wie nachdrücklich sie sich selbst zur Ruhe ermahnte, ließ sich die Erinnerung an das letzte Mal, als sie mit ihm allein in einer Wohnung gewesen war, nur schwer verdrängen. Je schneller sie ihre Aufgabe hier hinter sich brachte, desto schneller konnte sie wieder gehen.
Dumm war nur: Anziehsachen lagen nun einmal in einem Kleiderschrank, und der stand für gewöhnlich im Schlafzimmer. Eine beunruhigende Vorstellung. Ihr Herz galoppierte weiter wie ein durchgehendes Pferd.
Um Zeit zu gewinnen und seine Wirkung auf sie abklingen zu lassen, ging sie hinüber ins Wohnzimmer und hob eins der Fotos auf. Auf dem Bild war ein roter Porsche Cabrio mit offenem Verdeck zu sehen, der über den Rand einer hohen Klippe segelte. Wie ein Surfer stand Memphis mit gebeugten Knien auf dem Fahrersitz und hielt sich mit der Hand an der Oberkante der Windschutzscheibe fest, bereit, jeden Moment aus dem Wagen zu springen.
Eigentlich mochte sie keine Actionfilme, aber als der Film in die Kinos gekommen war, hatte sie sich ihn angesehen. Allein in der Dunkelheit, das Popcorn ihre einzige Begleitung, hatte sie den Helden – in Wirklichkeit Memphis – mit einem Rückwärtssalto aus dem fallenden Auto springen sehen. Die Arme an die Seite gepresst, um den Luftwiderstand zu verringern, war er wie ein Pfeil auf den unten in der Tiefe fahrenden Truck zugeschossen. Erst im allerletzten Moment hatte er die Leine gezogen, sodass sich der Fallschirm auf seinem Rücken öffnete, und war elegant auf dem flachen Anhänger gelandet.
Der Stunt hatte in ihr all die turbulenten Gefühle wiederbelebt, die Memphis als Teenager in ihr ausgelöst hatte. Bewunderung. Verärgerung. Bedrohung. Und vor allem dieses kitzelnde, elektrisierende Prickeln, das es ihr in seiner Gegenwart stets unmöglich gemacht hatte, einen klaren Gedanken zu fassen.
Im Gegensatz zu Dalton: Bei ihm hatte sie sich damals sicher gefühlt.
Eigentlich war ihr Ehemann der Grund gewesen, warum sie überhaupt ins Kino gegangen war: Obwohl es ihr gemeinsamer Abend war, hatte er ihr abgesagt. Wie so oft musste er für eine Juraprüfung lernen, sodass sie den Abend allein verbringen musste. So hatte sie sich eine glückliche Ehe nicht vorgestellt, doch sie durfte sich nicht beschweren – Dalton hatte seinen Traum verfolgt, und sie hatte ihn von Anfang an darin bestärkt. Also war sie eben allein in den Film gegangen, bloß dass sie im letzten Moment Memphis’ neuen Film dem ambitionierten Debütfilm eines talentierten Jungregisseurs vorgezogen hatte.
Zu Hause im Bett quälten sie den Rest der Nacht über wilde Träume, die Ängste und Gefühle aus längst vergangenen Zeiten wiederaufleben ließen, besonders ihre verzehrende Sehnsucht nach Memphis, die sie so lange versucht hatte, verborgen zu halten.
„Das war mein erster großer Film“, ertönte Memphis’ Stimme dicht hinter ihr.
Von seiner plötzlichen Nähe verstört, klammerten sich Kates Finger um den Bilderrahmen. „Wie hast du damals angefangen?“
„Basejumping.“
Sie bildete sich ein, die glühende Hitze seines Körpers zu spüren, und hielt den Blick fest auf das
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