Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
wussten, eine derart klare Vorstellung von Fairness haben konnten. Ihre Sensibilität dafür war derart ausgeprägt, dass sie in Tränen ausbrachen, sobald sie entdeckten, dass absolute Gerechtigkeit nicht erreichbar war. Caroline fragte sich, ob es an dem geheimnisvollen Ort, woher die Kinder kamen, ein Reich gab, in dem die menschliche Seele in einer perfekten Balance zwischen richtig und falsch existierte. »Wie wunderbar muss es dort sein«, murmelte Caroline in Lissas Ohr. »An diesem Ort der absoluten Fairness.«
Lissa legte den Kopf auf Carolines Schulter und seufzte leise.Als hätte sie einen Segen empfangen. Oder einfach resigniert.
Caroline erinnerte sich daran, welch heftige Gefühle das Thema Fairness einst in ihr selbst ausgelöst hatte. Ungefähr im selben Alter, in dem Lissa und Julie jetzt waren, hatte das Thema für sie eine unglaublich große Bedeutung gehabt. Aber jedes Mal, wenn die kleine Caroline geweint hatte, weil etwas »nicht fair« war, hatte ihre Mutter bloß die
Schultern gezuckt und entgegnet: »Fair? Dann geh doch nach Pomona.«
Und die Vorstellung von Pomona war für Caroline zum Talisman geworden. Über Jahre hinweg hatte sie es sich als Garten Eden ausgemalt, einen Ort absoluter Gerechtigkeit. Doch als sie elf war, hatten sie und ihre Mutter einen Ausflug mit dem Wagen unternommen. Damals hatte Caroline die Wahrheit entdeckt: Pomona war nichts weiter als der Schauplatz der Los Angeles County Fair. Ihr imaginäres Paradies hatte sich als höchst bescheidener, irdischer Ort entpuppt. Mehr Wüste als Garten, mehr Fäulnis als Schönheit. Caroline hatte zu ihrer dünnen, vertrockneten, angespannten Mutter aufgeblickt und sie gehasst. Ihre Mutter hatte Pomona seine Reinheit genommen und an deren Stelle ein vulgäres Volksfest gesetzt, das bis zu den Knien in verschüttetem Bier und der Pisse preisgekrönter Schweine versank.
»Wisst ihr was, Mädchen?«, sagte Caroline. »Mommy kann nichts daran ändern, dass es nur eine Schlumpfine auf der ganzen Welt gibt.Aber Mommy kann andere Dinge ändern. Viele, viele andere. Hunderte und Millionen und Abermillionen.«
Während der nächsten Stunde hörte Caroline nichts anderes als das vergnügte Lachen ihrer Kinder. Dann klingelte das Telefon.
Einen Moment lang war sie unsicher, ob überhaupt jemand am anderen Ende der Leitung war. Nur die Hintergrundgeräusche eines Restaurants oder vielleicht einer Cocktail-Lounge waren zu hören. Sie wollte gerade auflegen, als sie seine Stimme hörte.
»Ah. Sweet Caroline«, war alles, was er sagte. Doch sie wusste auf der Stelle, wer der Anrufer war. Sie hatte den Klang seiner Stimme niemals vergessen: rollender Samt,
durchzogen von rauem Diamantenstaub. Verführung, die mit dem Versprechen sowohl schöner als auch schmerzlicher Dinge daherkam.
»Mitch.« Schon das Aussprechen seines Namens erzeugte eine elektrische Spannung in Carolines Körper; ein Gefühl wie Feuerwerk und Brandy.
Caroline bemerkte nicht, dass Julie versuchte, Lissa so weit hochzuheben, dass sie ein angebrochenes Glas Karamellsauce auf der Arbeitsplatte in der Küche erreichen konnte. Beide Mädchen gerieten ins Taumeln und fielen hin. Das Glas zerbrach. Karamellsauce spritzte über den Boden. Der Hund jaulte auf. Lissa kreischte. Und Julie schrie: »Du Blödkopf!«, so laut sie konnte. Caroline klemmte den Hörer zwischen Schulter und Wange, um sich hinzuknien und nachzusehen, ob eines der Mädchen sich verletzt hatte.
»Sweet Caroline, rufe ich zu einer ungünstigen Zeit an?« Mitch klang leicht amüsiert. Sein Tonfall beschämte Caroline. Sie sah ihn vor sich, makellos und cool, wie er aus einem feinen Restaurant oder einer eleganten Bar anrief - irgendeinem piekfeinen Ort, wo es keine klebrigen Küchenfußböden oder kleine Mädchen gab, die »Blödkopf« schrien.
»Mitch, ich habe mich nicht zu der Art Frau entwickelt, mit denen du dich wahrscheinlich umgibst. Ich bin eine Mutter von zwei Kindern und einem Hund. Mein Leben ist laut, o.k.? Ich verbringe meine Zeit nicht damit, geräuschlos die Karriereleiter in einer großen Anwaltskanzlei hochzuklettern und mich dann in einer angenehm ruhigen Umgebung zu sonnen, während ich mir die Fingernägel maniküren und die Beine enthaaren lasse.«
»Hmmm.An diese Beine kann ich mich gut erinnern.An die Stille allerdings weniger.« Er legte eine Pause ein, um Carolines Antwort abzuwarten.
Sie wollte den eifersüchtigen Ton ungeschehen machen, in dem sie gerade über die eleganten
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