Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
flackerten überrascht auf.
»Ja. Ich wurde davon wach, dass die Kugel meine Hand traf.«
»Und der Traum«, fragte Ari, »war sehr lebhaft … kam er dir real vor, während du träumtest?«
»Ja«, erwiderte Justin. »Ich meine: der Raum, ich, alles - es war genau wie im richtigen Leben.«
»Und was passierte dann?« Ari hatte den kleinen Kühlschrank in seiner Praxis geöffnet und griff hinein, um eine Flasche Mineralwasser herauszuholen.
»Ich wurde wach, und ich dachte: ›Klasse, endlich kann ich mich an einen Traum erinnern.‹ Dann schrieb ich ihn auf, um ihn nicht zu vergessen.«
»Möchtest du eins?«, fragte Ari und deutete auf das Mineralwasser.
»Nein. Ich brauche nichts.« Justin lehnte sich zurück und wartete. Langsam gewöhnte er sich an den Rhythmus dieser Sitzungen. Justin spürte inzwischen, wenn Ari Zeit brauchte, um über den nächsten Schritt nachzudenken.
Seit fast einem Monat trafen sie sich zwei Mal wöchentlich hier, in Aris Praxis. Beim ersten Besuch hatte sich Justin unbehaglich dabei gefühlt, seinem Nachbarn in diesem unpersönlichen und trotzdem merkwürdig intimen Raum mit seinen eleganten Ledersesseln und den strategisch platzierten Papiertaschentuch-Boxen gegenüberzusitzen. Er hatte nicht gewusst, ob er es riskieren wollte, seine dunklen Geheimnisse, welche auch immer es sein mochten, jemandem zu offenbaren, den er kannte. Aber gleichzeitig war er unsicher gewesen, ob er sich stattdessen lieber einem Fremden öffnen wollte. Das Einzige, was ihm ohne jeden Zweifel klar war, war der Umstand, dass er dringend Hilfe benötigte.
»Wie fühltest du dich nach dem Aufwachen?« Ari setzte sich wieder in den Sessel gegenüber von Justin.
»Zufrieden, dass ich mir endlich einen Traum gemerkt hatte.«
»Sonst nichts?« Aris Stimme klang neutral, doch in der Art, wie er die Wasserflasche hielt und damit gegen die Armlehne
seines Sessels tippte, lag eine unübersehbare Anspannung. Justin war überrascht. Seine Träume aufzuzeichnen war etwas, das Ari ihm aufgetragen hatte. Justin hatte erwartet, dass allein der Umstand, dass er sich an diesen Traum - ja, an irgendeinen Traum - erinnern konnte, Ari eine positive Reaktion entlockt hätte.
»Und in dem Traum selbst, als dir klar wurde, dass der Mann es darauf abgesehen hatte, dich zu töten? Hattest du Angst?«
»Nein, ich habe gar nichts gefühlt deswegen … außer, wie ich schon sagte … eine Art ›Scheiße, das brauche ich nicht‹. Als würde es mir einfach zu viel.«
»Aber du hast klar begriffen, dass du ermordet werden solltest?«
»Ja. Absolut.«
»Und das hat dir keine Angst gemacht?«
»Nein.«
Ari trank einen Schluck Wasser. »Hattest du denn Angst, als du aufwachtest?«
»Nein.Warum die ganze Fragerei?«
»Weil der Traum, den du gerade beschrieben hast, ein absoluter Alptraum ist … du wurdest gerade ermordet.Trotzdem spürst du keine Angst. Dann wachst du auf und erinnerst dich an den Traum … wieder keine Angst. Kein Gefühl.«
»Und? Worauf willst du hinaus?«
»Ich will sagen, dass die normale Reaktion auf einen Alptraum und auf die Aussicht, ermordet zu werden, Angst ist. Aber du hattest keine.«
»Und das bedeutet was …?«
»Es legt die Annahme nahe, dass du deine Gefühle und deine seelischen Abläufe in so hohem Maß kontrollierst, dass diese Kontrolle beinahe absolut ist. Du beherrschst dein Verhalten
nicht nur, wenn du wach und bei Bewusstsein bist, sondern bis in dein Unterbewusstes hinein, bis in deine Träume; und du schiebst dem normalen Gefühlsfluss und der normalen Verarbeitung der Gefühle einen Riegel vor.«
»Ich verstehe es immer noch nicht. Was soll das bedeuten?« Justins Stimme klang besorgt.
»Es bedeutet, dass du dich innerlich hinter hohe Mauern zurückgezogen hast und dass du dich vor etwas schützt«, sagte Ari. »Und dass es eine große Sache ist. Und dass wir sehr vorsichtig überlegen müssen, auf welche Art und Weise wir die Suche danach angehen.«
Das Pacific Regent Hotel erstrahlte in prächtiger Weihnachtsdekoration. In jedem für die Gäste bestimmten Raum stand ein riesiger Weihnachtsbaum, behängt mit edelsteinartigem Schmuck, gekrönt von einem goldenen Engel und durchzogen von Spiralen aus smaragdgrünem Moos. Alles in allem vermittelte es den Eindruck von Reichtum und Überfluss.
Justin war aus seinem Büro heruntergekommen und durchquerte jetzt die Lobby. Der Anblick des verschwenderischen Weihnachtsschmucks und seiner Angestellten, die effizient ihre Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher