Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
umdrehten und zu ihr herübersahen. »Ich hatte gedacht, wir würden diese Woche nach Hause fliegen. Und so lange wollte ich warten, um mit Justin unter vier Augen zu sprechen. Dann ging der ganze Wirbel um dieses neue Haus los. Und zack!, bleiben wir einfach hier. Und wissen nicht mal, wie lange.«
»Es ist nicht dein Haus, mein Kürbis. Es gibt keinen Grund, warum du bleiben müsstest.«
»Das ist doch Unfug.« Amy hatte die Stimme zwar zu einem Flüstern gesenkt, doch ihr Tonfall blieb aggressiv.
»Amy, du bist ungezogen.« Linda stützte Zack auf ihrer Hüfte ab und deutete auf die Papierrolle mit Entwürfen, die immer noch auf dem Tisch lag. »Bitte nimm diese Sachen und bring sie für mich zum Wagen. Ich muss jetzt wirklich los.«
Der Abgang ihrer Mutter war beherrscht. Elegant. Abgerundet mit einem gnädigen Nicken und einem kurzen Lächeln. Amys Reaktion war komplizierter, ein blindes Aufeinanderprallen
von Gefühlen: ein Zusammenstoß von Frustration und Neid. Linda besaß die Fähigkeit, sich zurückzuhalten, während andere tobten und um sich schlugen. Auf grobe Gefühlsausbrüche reagierte sie mit kühler, distanzierter Selbstkontrolle. Amy nahm ihr dieses Verhalten übel. Es erweckte den Eindruck, als würde ihrer Mutter niemals etwas ausreichend viel bedeuten, das es wert wäre, sich darüber zu streiten. Und der Aufenthalt auf Maui hatte Amy streitlustig gemacht.
Als sie ihren Stuhl vom Tisch wegrückte, um Linda aus dem Restaurant zu folgen, bemerkte Amy einen Mann am entfernteren Ende der Bar, der sie beobachtete. Er war mittelgroß, schlank und hatte eine goldbraune Gesichtsfarbe. Außerdem besaß er schläfrige mandelförmige Augen und das, was Amy immer »Dichtermähne« genannt hatte - dunkle Wellen, die bis ans untere Ende seines Hemdkragens reichten. Im ersten Moment glaubte sie, ihn zu kennen. Dann wurde ihr klar, dass sie bloß seinen Typ erkannte - er ähnelte jemandem, in den sie einmal verliebt gewesen war. Einem Jungen, den sie beinahe geheiratet hätte.
Der Mann an der Bar schenkte ihr ein träges, verschmitztes Grinsen. Sie wandte sich ab. Als sie noch einmal hinschaute, war er in eine lebhafte Konversation mit dem Barkeeper vertieft.
Amy griff nach den Entwürfen, dem Geld und den verstreuten Baby-Spielzeugen - den miteinander im Widerspruch liegenden Dingen, die zurzeit ihr Leben ausmachten - und ging rasch Richtung Tür.
Über den Bürgersteig vor dem Restaurant wälzte sich ein langsamer Fluss von Fußgängern. Bummelnde Flitterwöchner. Gruppen kichernder College-Mädchen, die ihre eigenen Spiegelbilder in den Schaufenstern bewunderten.
Und alte Menschen, die still dastanden und gemächlich an ihren Tüten mit süßem hawaiianischem »Shave Ice« leckten. Immer wieder war Amy gezwungen, schlängelnd auszuweichen, beiseitezutreten oder sich schubsend ihren Weg zu bahnen. Und mit jedem frustrierten Schritt nahm der Ärger noch weiter zu, den sie auf ihre Mutter verspürte.
Als Amy schließlich die Kreuzung erreichte, an der ihre Mutter den Land Rover geparkt hatte, beugte sich Linda gerade in den Wagen, um Zack in seinem Kindersitz festzuschnallen. Ihre Bewegungen waren so gelassen und geschmeidig, dass Amy am liebsten losgebrüllt hätte. Sie packte ihre Mutter am Arm und zog sie vom Wagen weg. Ihr war durchaus bewusst, dass sie dabei war, die Kontrolle über sich zu verlieren, während ihre Mutter kühl und selbstbeherrscht reagieren würde. Dies war das Spiel, das sie beide schon immer gespielt hatten und von dem sie nicht wusste, wie sie es beenden sollte.
Mit hoher, angespannter Stimme sagte sie: »Was hast du gemeint, als du gesagt hast, es gäbe keinen Grund für mich, hierzubleiben, Mutter? Du weißt, dass Daddy mich gebeten hat, bei dem neuen Haus zu helfen.Was hätte ich denn tun sollen? Los, sag es mir! Welche Wahl hatte ich denn?!«
»Amy, hab ich dir schon mal meinen Lieblings-Cartoon gezeigt?«, entgegnete Linda. »Zwei alte Männer sitzen in einer Gefängniszelle … Da sagt der eine zum anderen: Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist: Die Tür steht offen. Die schlechte ist: Sie stand schon immer offen.«
Linda nahm Amy die Entwürfe und das Spielzeug aus der Hand. »Die Tür steht offen, mein Schatz. Du kannst jederzeit durch sie hindurchtreten.«
»Und einfach ›Nein, danke‹ sagen? Zu Daddy? Wann immer
ich will? Was für ein Schwachsinn.Wann hast du jemals ›Nein‹ zu ihm gesagt?«
»Wir sind verheiratet.Wir haben einen
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