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Nur ein Augenblick des Gluecks Roman

Titel: Nur ein Augenblick des Gluecks Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dianne Dixon
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J.s Zimmer.
    Es war ein Lied; beinahe geflüstert und unerträglich traurig; es drehte sich im Kreis, ohne Anfang oder Ende. Es klang wie ein Mantra, ein Opiat für eine Wunde, die von einem Ort und aus einer Zeit stammten, die sich dem Vergessen widersetzten.
    Margaret ging zur Tür ihres Arbeitszimmers und lauschte. Sie erkannte T. J.s Stimme, die gespenstisch hoch klang. Näselnd und zerbrechlich.
    Er sang im lispelnden Tonfall eines Dreijährigen. »Aber ja, aber ja … mein Name, der ist Justin … und auch Fisher, ist doch klar … Kenn ich mein Zuhaus’? Aber ja, aber ja …« Ein flüchtiges Zögern, und dann: »8-2-2, Lima Street … und schon bin ich da … Kenn ich meine Stadt, aber ja, aber ja … die Stadt heißt Sierra Madre, und wir leben alle da … Kenn ich meine Eltern …?« Wieder ein Zögern. »Aber ja, aber ja … meine Ma heißt Caroline … und Robert mein Papa … Kenn ich meine Schwestern, aber ja, aber ja … Julie heißt die eine und die andre heißt Lissa.«
    Für einen Augenblick kehrte Stille ein. Dann begann das Lied von vorn. Margaret begriff, dass sie den Erinnerungen eines Jungen lauschte, den es nicht mehr gab. Und zum
ersten Mal wurde ihr das Ausmaß der Leere klar, in die ihr Sohn geworfen worden war.

    »Sie machen das, als hätten Sie nie etwas anderes getan«, sagte Andy. »Ihre Mütterlichkeit ist so natürlich und so schön wie eine Blume im Frühling.« Andy saß in einem Ohrensessel neben dem Fenster an der Vorderseite des Hauses. Er war ein großer, massiger Mann. Sowohl den Sessel, in dem er saß, als auch die Teetasse, die er in der Hand hielt, ließ er aussehen wie ein Spielzeug.
    Margaret lachte. »Sie haben Ihre Berufung verpasst. Sie hätten Dichter werden sollen. Oder Baptistenprediger.« Sie wandte sich von Andy ab und konzentrierte sich darauf, Inky fernzuhalten, damit sie sich dem eingeklemmten Reißverschluss von T. J.s Schneeanzug widmen konnte.
    »Ich bin glücklich mit dem, was ich bin, Ihr schlichter Diener dem Gericht gegenüber.« Grinsend blinzelte er Margaret zu.
    Nervös verstärkte Margaret ihre Versuche, T. J.s Schneeanzug zu öffnen. Sie fühlte sich unbehaglich bei Komplimenten und, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, auch in Gegenwart von Männern. Als Kind, in der Grundschule, war ihr schmerzhaft bewusst gewesen, dass ihre Größe, ihr wildes rotes Haar, das runde, blasse Gesicht und ihr ernsthaftes Wesen nicht unbedingt Qualitäten waren, die der Großteil der Jungen attraktiv fand. Sie war in der Lage gewesen, dieses Desinteresse zu tolerieren, weil es andere Dinge gab, die sie selbst interessierten. Ihre Familie. Und der Kreis ihrer Freundinnen.
    Später, auf der Highschool, hatte es einen schüchternen, sonderbaren Jungen gegeben, der sie reizvoll fand und ihr
Lyrik vorlas; für eine Weile konnte sich Margaret durch seine Augen betrachten. Ihr Haar war tizianisch, ihre Haut aus Alabaster, und sie bewegte sich so hoheitsvoll und anmutig wie eine Göttin.
    Nach dem Unfall war der Junge von der Bildfläche verschwunden. Und Margaret wurde wieder sie selbst, mehr denn je. Als Folge des Unfalls war ein leichtes Humpeln zurückgeblieben; dazu ein merkwürdig abgehackter Gang. Beim Sturz vom obersten Rang der Tribüne am Rande eines leeren Footballfeldes war Margaret durch ein Gewirr von eisernen Streben und Stützen gefallen, und als sie auf dem Boden aufschlug, war eines ihrer Beine übel zugerichtet gewesen. Der Junge - von Margarets Lippenstift immer noch pink im Gesicht - knöpfte sich hektisch die Jeans zu und rannte nach Hause. Ein Wächter, aufgeschreckt durch den Lärm von Margarets Sturz und ihrem mehrfachen Aufprallen auf den Stützkonstruktionen, hatte schließlich einen Krankenwagen gerufen. Am nächsten Tag fand die Abschlussfeier statt, und die Ränge waren gefüllt mit Hüten und Talaren. Man lauschte gut gelaunten Reden, während Margaret bereits langsam, aber sicher inVergessenheit geriet.
    Der Junge und der Unfall hatten Margaret eine Zeitlang trauern lassen, ohne sie aber grundlegend aus der Bahn zu werfen. Sie war nie ein Mädchen gewesen, das sich besonders leidenschaftlich für Jungs interessierte oder übermäßig sensibel in Bezug auf ihr Äußeres war. Ihre Leidenschaft waren schon immer Bücher gewesen und Worte und die Idee von Mutterschaft.
    Zum 16. Geburtstag hatte ihre Mutter ihr eine Aussteuertruhe geschenkt - und sie über die Jahre mit bestickter Wäsche und hauchdünnen Dessous gefüllt. Später hatte Margaret

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