Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
der Tat um ein Trauerspiel handelte. Und doch wollte sie glauben, dass sich wenigstens ihr eigener Anteil an der Geschichte - nämlich dass sie und T. J. sich gefunden hatten - einem echten Wunder verdankte. »Sein Name ist Justin Fisher«, sagte Margaret. »Und ich heiße Margaret Fischer. Er war die ganze Zeit für mich bestimmt. Nur eine kleine Panne beim Buchstabieren hat sein Kommen verzögert.«
Ein Anflug von Mitleid lag in Andys Blick, als täte ihre Naivität ihm leid. Beschämt schaute Margaret zur Seite. Dann griff sie nach dem Päckchen, das er ihr mitgebracht hatte. »Sind Sie sicher, dass Sie mit dem, was darin ist, umgehen können?«, fragte er. »Mein Angebot gilt noch. Ich kann es entsorgen, und wir belassen es dabei.«
»Nein«, sagte Margaret. »Ich will es öffnen. Ich will alles wissen, was es zu wissen gibt.« Vorsichtig riss sie das braune Papier auf und fand ein dünnes Notizheft mit Spiralbindung. Auf die linierten Blätter waren offenbar in Eile eine Reihe von Fotos geklebt worden. Fotos von T. J.; von einem Haus im Schatten von Bäumen mit einer hohen, breiten Veranda und von zwei schönen kleinen Mädchen. Margaret wurde klar, dass sie wusste, wer die beiden waren. »Das sind seine Schwestern«, erklärte sie.
Sie drehte das Notizbuch so, dass Andy die Fotos erkennen konnte. »Sie heißen Julie und Lissa. Und dieses Haus
steht in einem Ort namens Sierra Madre in Kalifornien. In der Lima Street.«
»Wie können Sie das wissen? Er kann Ihnen doch wohl kaum davon erzählt haben?« Andy war ehrlich überrascht. »Ich habe T. J. niemals sprechen gehört. Haben Sie ihn irgendwie dazu gebracht, mit Ihnen zu sprechen?«
»Nein, noch nicht.« Margaret betrachtete abermals die Fotos, überwältigt von der Erkenntnis der realen Existenz dieser Mädchen und dieses Hauses. »Es gibt ein kleines Liedchen, das T. J. manchmal singt«, murmelte Margaret. »Es klingt furchtbar traurig.«
Bis zu diesem Moment hatte Margaret nur eine Wahrheit zur Kenntnis genommen: dass ihre Gebete erhört worden waren. Und weil T. J. die Antwort auf ihre Gebete war, hatte Margaret geglaubt, dass es eindeutig richtig sein musste, ihn bei sich zu haben. Doch jetzt, da sie mit der Hand diese Fotos berührte, die eindeutig in großer Verzweiflung zusammengestellt worden waren, begriff sie, dass ihre Wahrheit nur eine von vielen war. Sie musste einsehen, dass ihr Glück seine Wurzeln im Leid eines anderen Menschen hatte, und dass sie in dieser Angelegenheit keineswegs so untadelig und rechtschaffen war, wie sie bislang geglaubt hatte. Diese Fotos und ihr leidenschaftliches, hektisches Arrangement zeigten ihr, dass der Bericht, den Andy über T. J.s Hintergrund erhalten hatte, nur ein Teil irgendeiner dunkleren und komplizierteren Geschichte war.
Instinktiv begriff Margaret, wer den Inhalt dieses Notizbuchs zusammengestellt hatte; und sie begriff auch, warum. Sie begriff, dass nur ein Elternteil wirklich froh gewesen war, als T. J. das Haus in der Lima Street verlassen hatte.
Als sie die letzte Seite umblätterte, entdeckte Margaret noch einen einzelnen Polaroid-Schnappschuss, der im hinteren
Umschlag des Notizbuchs klemmte. Das Foto war aus einem sonderbaren Winkel aufgenommen worden, als hätte jemand die Kamera auf der Sitzfläche eines Stuhls oder auf der obersten Stufe zur Veranda platziert. Das Bild zeigte eine junge Frau auf einem Flecken winterlich verkümmerten Grases. Ihr Haar war schokoladenbraun, und ihr Gesicht wirkte absolut unbewegt. Sie schaute unmittelbar in die Linse. Ihr Blick war dermaßen direkt, dass es schien, als wolle sie die Kamera direkt in ihre Seele blicken und festhalten lassen, was dort zu lesen war. Sie hielt ein Spielzeugkaninchen in der Hand. Unter dem Polaroid, auf die Größe einer Kreditkarte zusammengefaltet, befand sich die Kopie einer Geburtsurkunde, die auf den Namen Thomas Justin Fisher lautete.
Margaret nahm das Foto heraus und betrachtete aufmerksam den Ausdruck in den Augen der jungen Frau. Die wilde Entschlossenheit und das pure Flehen, das sie dort sah, ließen Margaret zurückzucken, als hätte der Blitz sie getroffen. In diesem Moment begriff Margaret, dass sie beide - sie selbst und die Frau auf dem Foto - mitschuldig waren an einem Verbrechen; einem Verbrechen, bei dem die Rollen von Täter und Opfer auf erschreckende Weise unklar waren.
»Eine Schaukel!« T. J.s Augen leuchteten. »Eine Schaukel und Rollschuhe.«
»Bist du sicher?«, fragte Margaret. »Sonst nichts?«
Weitere Kostenlose Bücher