Nur ein Blick von dir
vorstellen. Na, dann los, damit du möglichst früh nach Hause kommst.«
Als ich im Zug saß, merkte ich, dass das, was ich zu Callum gesagt hatte, noch mehr zutraf, als mir selbst bewusst gewesen war: Ich war komplett erledigt. Seit Tagen war ich am Rennen, war nichts als Gefühl und Adrenalin gewesen, und nun war alles aufgebraucht. Ich wollte mich nur noch zu einem kleinen Ball zusammenrollen und einen Monat lang schlafen. Zum Glück fuhr ich bis zur Endstation, so dass es nicht schlimm war, wenn ich unterwegs eindöste. Irgendwann wurde ich dann auch von einem groben Stoß in die Rippen geweckt und merkte, dass ich an der Schulter eines säuerlich aussehenden Pendlers eingeschlafen war. Ich entschuldigte mich und drehte mich auf meinem Sitz so, dass mein Kopf am Fenster lehnte. Unwillkürlich musste ich lächeln, als ich die Auren der Menschen auf den vorbeigleitenden Bahnsteigen sah. Dieses eigenartige Talent, das ich mit Callum teilte, war seltsam beruhigend, und als meine Gedanken immer unkonzentrierter wurden, ließ ich die Augen zufallen.
Abrupt wurde ich vom schrillen Rufton eines Handys geweckt, und ich brauchte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass es meins war. Das klobige alte Ding meldete sich wirklich schrecklich, und während ich es aus der Gesäßtasche fummelte, blickte ich die Mitfahrenden entschuldigend an. Diesmal stand der Name auf dem Display.
»Hi, Josh, was gibt’s?«
»Ich hab gedacht, es ist dir vielleicht ganz recht, wenn ich dich frühzeitig warne, dass Mum und Dad wieder da sind«, sagte er mit sehr leiser Stimme.
»Oh, richtig. Danke. Wie ist die Stimmung?«
Seine Stimme wurde sogar noch leiser. »Gemischt. Ich hab sie wegen deinem Gesicht vorgewarnt, aber die rasten aus, wenn sie deinen Arm sehen. Wo bist du?«
»Im Zug. Ich denke mal, dass ich in einer guten halben Stunde zu Hause bin.«
»Wie sehen die Blutergüsse aus?«
»Ich hab jetzt eine Weile nicht nachgesehen.«
»Na, dann sieh zu, dass sie verdeckt sind.«
»Guter Hinweis.« Ich schwieg kurz. »Danke, Josh. Nett, dass du mich vorgewarnt hast.«
»Keine Ursache. Ist sonst jetzt alles in Ordnung? Du warst den ganzen Tag weg.«
»Ja, schon. Ist alles erledigt. Es hat eine Weile gedauert, aber es ist alles geschafft.«
»Gut. Dann bis später. Tschau.«
Ich schaute mir das ungewohnte Gerät an und versuchte rauszubekommen, wo man auflegen musste, und dann steckte ich es zurück in die Tasche, in der auch der kleine Spiegel war. Schnell schaute ich mich im Zug um, doch niemand schien auf mich zu achten. Vorhin hatte ich ewige Zeiten in den Spiegel gesehen, aber da war ich ganz auf Callum konzentriert und hatte überhaupt nicht darauf geachtet, wie ich gerade aussah. Es war jetzt über eine Woche her, dass Catherine mich geschlagen hatte, aber die Blutergüsse und Schrammen im Gesicht waren immer noch schlimm. Nun hatten sie sich vorwiegend grün verfärbt, was mir ein ziemlich unerfreuliches Aussehen gab, aber wenigstens war der Schorf jetzt weg. Mein Arm zeigte immer noch deutlich den Abdruck des Golfschlägers. Ich seufzte leise. Josh hatte recht. Mum würde an die Decke gehen, wenn sie ihn sah und sich klarmachte, dass ich davon nichts gesagt hatte. Glücklicherweise waren meine Ärmel lang genug, um den Abdruck vollkommen zu verdecken.
Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, durchwühlte ich vergeblich meinen Rucksack nach einem Abdeckstift. Zum Glück konnte mein Gesicht immer noch mit der Geschichte von Beesley erklärt werden, ich musste nur etwas improvisieren. Ich warf mir den Rucksack über die Schulter und machte mich auf den langen Weg nach Hause.
21. Hoffnung
Als ich am Morgen aufwachte, war Callum da und hielt mich an sich gedrückt, während ich den Tag verschlief.
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie dir das angetan hat«, flüsterte er und küsste die bösen Schwielen an meinem Arm.
Ich kuschelte mich in seine Umarmung und spürte die sanfte Berührung seiner Finger, die von der Schulter abwärts glitten. »Ich möchte jetzt keine Sekunde länger an sie denken. Sie ist weg und damit tschüs. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns um uns kümmern.«
Er lehnte sich etwas zurück. »Was macht uns denn diesmal Kummer?«
»Nichts, Unsinn. Das ist nur so eine Redewendung. Wir haben keinen Kummer außer dem, dass wir in verschiedenen Dimensionen festsitzen, was nur ein klitzekleines bisschen ärgerlich ist, sonst nichts.«
»Na, du scheinst dich heute ja etwas besser zu fühlen.« Er
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