Nur ein Blick von dir
beaufsichtigen.
»Bitte heute da oben nicht rumtrödeln«, verkündete er, während er unsere Schlange weiter die letzte Treppe nach oben drängte. »Bleiben Sie nicht stehen da oben, dann können alle die Aussicht genießen.« Doch es war unmöglich, sich zu bewegen. Wir steckten fest.
Ich konnte die alte Eichentür nach draußen sehen, musste aber warten, bis ich an der Reihe war. Auf der unglaublich schmalen Eisentreppe war es unmöglich, sich vorzudrängen. Zum Glück gab es zwei Treppen, eine nach oben und eine nach unten. Sonst hätten wir alle festgesessen.
Schließlich erreichte ich in ganz kleinen, langsamen Schritten die Tür und konnte die frische Luft schon im Gesicht spüren. Ich musste gegen den Drang ankämpfen, mich zwischen möglichst vielen Menschen durchzurempeln, um endlich zu Callum zu gelangen. Irgendwann trat ich dann nach draußen und packte das alte rostige Geländer mit der abblätternden goldenen Farbe.
»Hi, Callum, ich hab’s geschafft, bin oben auf der Kuppel!«, verkündete ich froh in das Mundstück. Es blieb seltsam still. »Hi, Callum, bist du da?« Ich suchte nach dem Spiegel und blickte mich damit um, wobei es mir inzwischen egal war, was die anderen Touristen dachten. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen, es gab kein seltsam prickelndes Gefühl. Auf einem Balkon, knallvoll mit Menschen, war ich total allein.
Ich konnte es nicht glauben, noch nicht. Vielleicht war er auf der anderen Seite. Ich klammerte mich an diesen Gedanken, als ich mich mit den übrigen Leuten, die die Aussicht genossen, weiter herumschob. Doch je weiter ich kam, desto klarer wurde mir, wie sinnlos das war. »Callum?«, rief ich wieder, als ich auf der Stelle stand, wo wir uns zum ersten Mal berührt hatten, wo ich gemerkt hatte, dass ich ihn tatsächlich sehen, anfassen und küssen konnte. Aber da war nichts. Tränen liefen mir über die Wangen, als mein Rufen immer verzweifelter wurde. Ich versuchte, stehenzubleiben, zu sehen, ob es vielleicht irgend einen Winkel auf dem Balkon gab, wo es anders war, aber der Druck der Leute hinter mir machte das unmöglich. Es war, als befände ich mich in einer albtraumhaften Karnevalsschlange und würde dahin geführt, wo ich gar nicht hinwollte.
Als wir uns auf die Tür mit der Treppe nach unten zuschoben, zappelte ich herum, um zu sehen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, hier oben zu bleiben, einen zweiten Rundgang zu machen. Doch zwischen den Türen bei der Sperre, die genau das verhindern sollte, stand ein zweiter Wärter. »Callum!«, rief ich wieder gequält, bevor ich die Sperre loslassen und wieder in das Dämmerlicht eintauchen musste. »Bitte, bitte gib mir doch ein Zeichen, dass du da bist!« Ich schluchzte laut auf, und der Wärter blickte mich erschreckt an.
»Geht es Ihnen nicht gut, junge Frau?«, fragte er freundlich, aber besorgt. »Brauchen Sie Hilfe für den Weg nach unten?«
Unglücklich schüttelte ich den Kopf, ohne ein Wort hervorbringen zu können. »Dann geben Sie aber auf den Stufen acht«, mahnte er, während er mich durch die Tür führte. Er war eindeutig erleichtert, mich aus der Nähe des Geländers entfernt zu wissen.
Als mich die Düsternis einhüllte, war es, als würde meine Welt untergehen. Tränenüberströmt stolperte ich weiter nach unten, bis ich schließlich eine Stelle fand, wo ich an der Seite auf das kalte, harte Metall der Treppe niedersacken konnte, und gab mich meinem Elend hin.
Ich öffnete die Augen erst wieder, als mich jemand beharrlich am Arm rüttelte. Ich wollte wegrücken, doch da ich bereits in die Ecke des kleinen Treppenabsatzes geklemmt war, konnte ich nicht weiter ausweichen.
»Na, also, junge Frau«, sagte eine tiefe Stimme. War es derselbe Mann, der ganz oben mit mir gesprochen hatte? Ganz oben, wo es keinerlei Anzeichen von Callum gegeben hatte? Der Gedanke daran durchstach mein Herz wie ein Messer. Im Hintergrund hörte ich eine andere Stimme.
»Sicherheitsdienst? Ja, sie scheint bei Bewusstsein zu sein.« Dann ein Klicken und ein undeutliches knisterndes Geräusch. »Nein, warten Sie mit der Ambulanz noch einen Augenblick. Wir versuchen sie dazu zu bringen, nach unten zu gehen. Ich sage Ihnen in fünf Minuten Bescheid. Kuppel drei, Ende.« Es gab ein schleifendes Geräusch und dann wieder dieselbe Stimme, nur lauter: »Bitte weitergehen, Herrschaften, hier gibt’s nichts zu sehen. Bitte nicht stehenbleiben.« Im Hintergrund war das Geflüster der Besucher zu hören, die auf der Treppe
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