Nur ein einziger Kuss, Mylord?
Grübchen. Zum Teufel, dachte Julian. Sie sieht nicht einmal in meine Richtung! Wieso hat es diese katastrophale Wirkung auf mich?
„Ich danke Ihnen für den Hinweis, Madam.“
Und nicht nur das verwünschte Grübchen – das Blitzen in ihren Augen, das Lachen in ihrer Stimme und wie sich ihr Mund zu einem zauberhaften Lächeln nach oben bog … dieser Mund, von dem er sich ohne Weiteres vorstellen konnte, dass purpurfarbene Flecken von Brombeersaft ihn zierten und ihre Lippen zur süßesten, verbotensten aller verbotenen Früchte machten … Um Himmels willen, was ging ihm im Kopf herum? In erotischen Fantasien von Christy Daventry und verbotenen Früchten zu schwelgen war schlimm genug, aber es am Frühstückstisch zu tun, inmitten der anderen Familienmitglieder, konnte nur als Irrsinn bezeichnet werden.
„Sehen Sie zu, dass Sie sich nicht verlaufen“, sagte er kurz angebunden. „Es würde Umstände machen, wenn wir Sie suchen müssten.“
„Euer Lordschaft sind die Güte selbst.“
Er hätte vor Erleichterung aufseufzen mögen, als das Grübchen verschwand und der spröden Miss Daventry in all ihrer arktischen Höflichkeit Platz machte. Solange er sich nicht vorstellte, wie er das Eis zum Schmelzen bringen konnte … Er blendete den Gedanken aus, als Matthew eine Seite aus seinem Notizbuch riss, um die Route aufzuzeichnen. Diesen speziellen Eisberg zum Schmelzen zu bringen war ausgeschlossen. Er wollte nicht schmelzen, davon hatte er sich gestern überzeugen können. Aber das kurze Aufblitzen von Hingabe in ihren Augen, bevor sie ihre Barrieren wieder aufgerichtet hatte, war ihm nicht entgangen.
Vielleicht würde sie sich ein weiteres Mal hinter ihren Schutzwällen hervorlocken lassen, doch wenn sie nicht auf das Spiel eingehen wollte, hatte sich die Sache für ihn erledigt. Er war nicht mehr in dem Alter, wo eine desinteressierte Frau eine Herausforderung für ihn darstellte.
Er schob seinen Stuhl zurück, und Juno, die dahinter auf dem Boden gelegen hatte, sprang auf. „Übrigens, Davy“, wandte er sich an seinen kleinen Bruder. „Ich will mir heute Morgen die Getreidefelder ansehen, und wenn du möchtest und deine Mutter es erlaubt, kannst du mich begleiten.“ Davys unaufhörliches Geplapper würde ihn davon abhalten, ständig an Miss Daventry zu denken.
Davy strahlte. „Mama? Darf ich? Bitte?“
Ein Lächeln zuckte um Serenas Mundwinkel. „Ich denke, ich werde zurechtkommen, Davy. Leiste deinem Bruder Gesellschaft.“
Julian sah sie an. „Wirst du dich nicht langweilen?“
„Kein bisschen“, versicherte sie ihm heiter und goss sich Tee nach.
Er beließ es dabei. Und witterte förmlich, dass sie ihm etwas verschwieg. Aber was?
Davy ließ ihm keine Zeit für Mutmaßungen. Der Junge beendete sein Frühstück in Rekordzeit, wischte sich mit der Serviette über den Mund und sprang auf.
Grinsend streckte Julian ihm die Hand entgegen. Die kleinen Finger, die sich mit seinen verschränkten, waren klebrig. Sehr klebrig. Seine Breeches würden zweifellos ein paar Marmeladeflecken abbekommen. „Aber zuerst gehen wir in die Küche und lassen uns etwas zu essen mitgeben.“
Beim Hinausgehen fiel sein Blick auf Miss Daventry. Sie sah Davy an, ein eigentümliches Lächeln lag um ihren Mund. Als sie aufschaute, verfing sich ihr Blick mit seinem, dann wandte sie sich ab.
Ein sehnsuchtsvoller Ausdruck hatte in ihren Augen gelegen. Wonach sehnt sich eine Frau wie Miss Daventry? fragte er sich. Wohlstand? Ansehen? Vermutlich. Wer wollte es ihr zum Vorwurf machen? Sie blickte einer höchst unsicheren Zukunft entgegen. Er schob den Gedanken beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit auf Davys Geplapper, doch eine bohrende Frage blieb. Was erwartete sie, wenn sie von Amberley fortging? Denn fortgehen würde sie, das war sicher. Was würde dann aus ihr? Bilder von Miss Daventry in einer möblierten Unterkunft, wie sie jeden Penny zweimal umdrehte, stiegen vor seinem inneren Auge auf. Ihn schauderte bei der Vorstellung.
Christiana konnte sich nicht erinnern, dass sie je einen Tag so genossen hätte wie diesen. Und dabei tat sie nichts weiter als zu wandern. Wenn sie in Bristol ausgegangen war, hatte sie mit lauten, übel riechenden Straßen vorliebnehmen müssen. Auf dem Waldpfad, neben dem sie Rast machte, gab es keinen Lärm. Stattdessen hörte sie Vogelgesang und gelegentlich den hellen Klang eines Schmiedehammers, der vom Dorf heraufschwebte. Unten auf dem Fluss wurde ein Fährkahn von einem Ufer
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