Nur ein einziger Kuss, Mylord?
Mal.
„Mama?“, rief Nan besorgt.
„Es ist nichts“, rief Christy ihr zu. „Nur ein Wespenstich.“
Sie sah Jane an. Doch, da war sehr wohl etwas. Janes Mund wirkte plötzlich eigenartig verunstaltet. Geschwollen. Und mit jedem Atemzug, den sie tat, schien er weiter anzuschwellen.
„Jane! Was ist los? Haben Sie Schmerzen? Soll ich Ihnen irgendetwas holen?“, fragte sie alarmiert.
Jane befühlte ihren Mund. Sie schien benommen. „Ja … tut weh“, erwiderte sie mit seltsam erstickter Stimme. „Mein Hals … kann nicht schlucken …“
Christy hatte ein Gefühl, als ob ihr das Blut in den Adern gefröre. „Ich schicke Nan nach dem Doktor.“
Dr. Wharton beobachtete Jane Roberts, die inzwischen um jeden Atemzug kämpfte. Ihre Wangen und ihr Hals waren bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. „Um Himmels willen“, murmelte er entsetzt und beugte sich über die Kranke. Christy hatte sie zu Bett gebracht und ihr kalte Umschläge gemacht, die jedoch nichts auszurichten schienen. Jane verlor zusehends das Bewusstsein, ihr Gesicht hatte einen beinahe lila Farbton angenommen, und sie holte pfeifend Luft.
„Eine Wespe, sagen Sie?“ Dr. Wharton wandte sich zu Christy um.
„Ja. Auf ihrem Likörglas.“
Der Arzt stieß eine Verwünschung aus. „Ich fürchte, ich kann nichts mehr für sie tun“, sagte er kopfschüttelnd. „Ich werde bei ihr bleiben, bis es vorüber ist. Sehen Sie zu, dass das Kind draußen bleibt.“
Christy starrte ihn an. „Bis es vorüber …“ Ihr Magen krampfte sich zusammen. „Sie meinen, sie wird sterben?“, wisperte sie fassungslos.
Der Arzt nickte. „Es gibt Menschen, für die Wespen- und Bienenstiche lebensgefährlich sind. Besonders, wenn sie in der Mundgegend gestochen werden.“
Jane öffnete die Augen, kaum noch bei sich, in Todesangst. Ihre Lippen bewegten sich, doch nur ein Keuchen war zu hören. Verzweifelt setzte sie noch einmal an zu sprechen, den Blick fest auf Christy geheftet.
Christy wusste, was Jane ihr zu sagen versuchte. Das Gleiche, was sie selber Jane versucht hätte zu sagen, wenn sie sie gewesen wäre. Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm Janes Hand in ihre. „Ich weiß, Jane“, sagte sie leise. Tränen verschleierten ihren Blick. „Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich kümmere mich um Nan. Ich verspreche es Ihnen.“
„Gehen Sie jetzt“, befahl Dr. Wharton leise. „Sie können nichts mehr für sie tun.“
18. KAPITEL
Eine Viertelstunde später kam Dr. Wharton aus dem Krankenzimmer. Jede Hoffnung, die Christy noch gehegt haben mochte, fiel in sich zusammen, als sie seinen düsteren Gesichtsausdruck sah. Sie nahm Nan in die Arme, die sich an sie klammerte und in Tränen ausbrach. Auch ihr selbst brannten Tränen in den Augen.
„Es tut mir leid“, sagte der Arzt. „Ich konnte nichts mehr für sie tun.“ Er sah Christy an und das schluchzende Kind, das sich an sie presste. „Es ist freundlich von Ihnen, dass Sie sich um die Kleine kümmern, Mylady, aber uns ist sicher beiden bewusst, in welche Verlegenheit Ihre Bemühungen Sie bringen könnten. Ich denke, das Beste wird sein, wenn ich mich des Mädchens annehme. Wenn seine Familie mütterlicherseits ihm kein Zuhause bieten kann, werde ich einen Platz im Waisenhaus für es finden. Und fürs Erste können wir die Kleine bei mir unterbringen. Meine Haushälterin wird sich um sie kümmern.“
Christy wurde elend, als ihr die Tragweite von Dr. Whartons Rede aufging. Nan schluchzte schmerzerfüllt.
„Sie haben mich missverstanden, Sir“, erklärte sie fest und erhob sich, ohne Nan loszulassen. „Was ich Mrs. Roberts gegenüber äußerte, waren keine leeren Worte, die eine Sterbende beruhigen sollten. Ich meinte, was ich sagte. Sprechen Sie mit Mrs. Roberts’ Familie. Wenn Nan dort nicht unterkommen kann, bleibt sie bei mir. Und sprechen Sie bitte auch mit dem Vikar. Er soll … er soll die Beerdigung in die Wege leiten. Ich schicke einen Bediensteten, damit er Nans Habseligkeiten nach Amberley bringt. Ich nehme sie mit.“
Dr. Whartons Augen weiteten sich ungläubig. „Lady Braybrook … vielleicht … haben Sie sich das gut überlegt? Seine Lordschaft …“
Das Krachen einer Tür gegen die Wand unterbrach ihn. Mit dem weinenden Mädchen im Arm wirbelte Christy herum. Auf der Schwelle stand Julian.
„Was zum Teufel geht hier vor?“, verlangte er ungeduldig zu wissen. „Im Dorf kursiert die Geschichte, dass Jane krank ist. Christy?“
Wharton trat vor, seine Bewegungen
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