Nur ein Gerücht
gespannt, »haben Sie seine Einladung angenommen, oder haben Sie sich rar gemacht, wie es die Großmütter raten?«
»Wenn man ein Leben lang auf jemanden wartet und ihn endlich gefunden zu haben glaubt, dann hat man alles Mögliche im Sinn, aber ganz bestimmt keine künstliche Verknappung.« Er schob sich ein Stück Schokolade in den Mund. »Zehn Tage später sind wir zusammengezogen.«
Wir schwiegen, während jeder von uns seinen Gedanken nachhing.
»Ihr Vater hatte große Schuldgefühle Ihnen gegenüber. Er war der festen Überzeugung, er habe Ihr Männerbild beschädigt.« Ich ließ seine Worte einen Moment auf mich wirken. »Das hat er wohl auch.«
»Gibt es jemanden, der es restaurieren kann?« Seinem Blick war unschwer zu entnehmen, welche Antwort er sich erhoffte. Der Hitze nach zu urteilen, die in mein Gesicht stieg, musste ich ziemlich rot aussehen. Ich hoffte nur, dass meine Bräune das meiste schluckte. »Vielleicht.«
»Das wird Viktor freuen zu hören. Und mich freut es natürlich auch.« Er hob sein Glas und prostete mir zu, bevor er einen Schluck von dem Rotwein nahm. »Dann haben Sie inzwischen eine Antwort auf Ihre Frage gefunden?«
»Auf welche Frage?«
»Wie es ist, einen Mann zu lieben.«
»Sagen wir so ... ich versuche, es herauszufinden.«
»Würden Sie mir einen Gefallen tun, Carla? Darf ich Sie hin und wieder besuchen? Sie sind Viktors Tochter und ich ...«
»Ich freue mich, wenn Sie vorbeikommen!«
»Und wenn Sie in Not sind, würden Sie es mir dann sagen?« Ich nickte. »Die größte Not habe ich zum Glück gerade abgewendet. Mein Verpächter wollte mich von einem Tag auf den anderen auf die Straße setzen, und eine Bekannte meinte, mir eine Lektion erteilen zu müssen. Beide hatten es auf den guten Ruf des Bungehofs abgesehen.«
»Warum wollte Ihr Verpächter Sie auf die Straße setzen?«
»Weil ein Unternehmen sich ausgerechnet das Areal des Bungehofs auserkoren hat, um an seiner Stelle ein Wellness-Hotel zu errichten. Das Kaufangebot dieses Unternehmens kann sich sehen lassen. Zum Glück läuft mein Vertrag aber noch fünf Jahre. So lange können die nichts machen.«
»Und dann? Was ist, wenn diese fünf Jahre abgelaufen sind?« Ich winkte ab. »Fünf Jahre sind eine so lange Zeit.«
»Täuschen Sie sich nicht, Carla, fünf Jahre gehen rasend schnell vorbei. Hätten Sie nicht Interesse daran, den Hof selbst zu kaufen?«
»Wovon?«
»Viktor hat Ihnen eine Menge Geld hinterlassen. Haben Sie noch keine Benachrichtigung wegen der Testamentseröffnung erhalten?«
»Nein.«
»Dann warten Sie in Ruhe ab - sie wird kommen!«
23
D er Anruf von Rieke Lohoff ließ mich nicht los. Melanie hatte mir ihren Hass sehr deutlich gezeigt, und jetzt tat sie offenbar dasselbe mit Karen. Obwohl sie nach wie vor durch die Trauer um Udo in einem jammervollen Zustand war, schien sie über ungeahnte Energiereserven zu verfügen. Gepaart mit ihrem Einfallsreichtum hatte diese Energie bereits einiges angerichtet.
Wäre Karen ein anderer Mensch gewesen, hätte ich sie zweifellos gewarnt, aber von mir konnte sie keine Hilfe erwarten. Obwohl sie zwei Tage später genau das tat. Ich trainierte gerade eines der Pferde auf dem Viereck, als sie mich bat, meine Arbeit zu unterbrechen.
»Hat das nicht eine halbe Stunde Zeit?«, fragte ich abweisend.
Ihr Nein wirkte fast panisch. Unruhig lief sie an der Abgrenzung auf und ab und versuchte, mich mit ihren Blicken vom Pferd zu zerren.
»Du musst mir helfen, Carla!«
Betont langsam stieg ich vom Pferd und ging auf sie zu. Bis zu diesem Tag hatte ich sie noch nie angeschlagen erlebt. Jetzt wirkte sie, als stünde ihr das Wasser bis zum Hals. Später sollte ich mich fragen, ob ich die kommenden Ereignisse hätte vorausahnen können - hätte ich diesen Eindruck bewusster wahrgenommen und gleichzeitig bedacht, dass Ertrinkende dazu neigen, um sich zu schlagen.
»Bei mir ist etwas im Gange, was mich meine Existenz kosten kann«, sagte sie hektisch. »Erst hat mich nur jemand anonym bei der Kassenärztlichen Vereinigung des Abrechnungsbetrugs beschuldigt. Dann kam plötzlich das Gerücht auf, ich würde reihenweise Bilder falsch beurteilen und Fehldiagnosen stellen. Vor ein paar Tagen waren es dann üble Schmierereien an der Hauswand meiner Praxis.« Ihre Augen waren geweitet, als hätte sie entsetzliche Bilder vor Augen. »Und schließlich erschien eine unter meinem Namen geschaltete Anzeige:
Ich würde meine Praxis aufgeben - aus persönlichen
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