Nur ein Gerücht
Augenaufschläge mit der Zeit langweilig werden. Die andere ist ebenfalls blond, besitzt obendrein aber eine ungeheure Ausstrahlung.«
»Modell Lebensfreude?« Meine Lebensfreude war mir in den vergangenen vierundzwanzig Stunden abhanden gekommen.
»Nein, eher das Gegenteil«, antwortete sie nachdenklich. »Sie wirkt irgendwie unglücklich und auf eine seltsame Weise bedrohlich, wie jemand, der ständig in Kampfbereitschaft ist.«
Bei diesem Stichwort fiel mir der Kater ein. »Genauso wie Einstein, der ist auch ständig in Kampfbereitschaft. Gestern hat er sich wieder über meine Mäuse hergemacht.«
»Das muss sein Geist gewesen sein«, sagte Susanne bekümmert, »Einstein ist vorgestern überfahren worden.«
»Nein!« Ich schob meinen Teller zur Seite.
»Wenn ich es dir sage. Die Tochter deiner Nachbarn hat es weinend in der Hotelküche erzählt.«
»Wer hat dann meine Bücher umgeworfen?«
Susanne zuckte die Schultern. »Vielleicht hat er noch rechtzeitig einen Nachfolger angelernt.«
»So gut wie Einstein ist er keinesfalls, ich habe heute Nacht meine Mäuse rascheln hören.«
»Vollzählig?«, fragte sie trocken.
Zum ersten Mal an diesem Tag konnte ich lachen. »Ehrlich gesagt, habe ich den Überblick verloren.«
»Wenn du mich fragst, kann man Tierliebe auch zu weit treiben.«
Da wir bei diesem Thema nie einer Meinung sein würden, schwieg ich, schloss meine Augen und wendete mein Gesicht ebenfalls der Sonne zu.
»Wie macht sich Heide?«, fragte sie nach einer Weile. »Sie geht mit den Pferden um, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Bei ihrem Umgang mit Menschen sehe ich allerdings noch Nachholbedarf.«
»Heide ist, wie sie ist. Erwarte nicht, dass sie sich ändert.«
»Wie lange kennst du sie schon?«
»Eine Weile.«
Nach einem Moment des Schweigens fragte ich wie nebenbei: »Hast du Christian gesehen?«
»Leider ja. Mit dem ist heute nicht gut Kirschen essen. Er hat so ziemlich jeden zur Minna gemacht, der ihm über den Weg gelaufen ist. So kenne ich ihn überhaupt nicht. Dabei verspricht ihm sein Horoskop für diese Woche ein Liebesabenteuer.« Sie beschirmte ihre Augen gegen die Sonne und sah mich verschmitzt an. »Wie wär's? Ihr beide seid längst überfällig.«
»Christian ist mein Freund!« Jedenfalls hatte ich das bis gestern angenommen.
Susanne schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ich weiß, wie man Freunde anschaut. Und was aus deinem Blick spricht, wenn du ihn ansiehst, ist etwas ganz anderes, von seinem ganz zu schweigen.«
»Können wir das Thema wechseln?«
»Du hast von Christian angefangen. Er hat übrigens auch einen Blick auf die Blonde mit der Ausstrahlung geworfen.« Wie hatte ich annehmen können, dieser Tag würde besser als vergangene?
6
Z wischen den Unterrichtsstunden füllte ich die Tränken auf den Weiden und im Freilauf und wanderte von Box zu Box, um die Pferde, die nicht draußen waren, zu striegeln, bis sie glänzten. Bastis amüsierter Frage, ob ich auf einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde spekulierte, begegnete ich mit einem Kopfschütteln. Die Grenze meiner körperlichen Belastbarkeit auszuloten hatte mir schon über manche schwierige Situation hinweggeholfen.
Als ich an diesem Abend verdreckt und verschwitzt im Büro saß, um die Bestelllisten zu ergänzen, spürte ich fast so etwas wie Zufriedenheit. Das körperliche Anpacken hatte mir das Gefühl vermittelt, das Heft wieder in der Hand zu haben und nicht der Spielball anderer Menschen zu sein.
»Bunge«, meldete ich mich tief in Gedanken, nachdem das Telefon bereits viermal geläutet hatte.
»Hallo Carla, hier ist Melanie.«
»Melanie ...«
»Ich wollte dich fragen, ob du heute Abend Zeit hast.«
»Heute Abend ist es ganz schlecht, ich habe noch zu viel zu tun.«
»Was denn?«, fragte sie zaghaft.
»Ich muss die Wassertränken auf den Weiden füllen«, log ich.
»Soll ich dir helfen? Ich könnte vorbeikommen.«
»Das ist nett von dir, aber ich habe Hilfe.«
Für Sekunden war es still in der Leitung. »Ich würde dich gerne noch einmal treffen. Bitte ...«
»Im Moment habe ich sehr wenig Zeit. Solange das schöne Wetter anhält, kann ich mich vor Anfragen für Ausritte kaum retten. Du kennst das ja.«
Sie war jedoch nicht der Typ, der schnell aufgab. »Am Wochenende soll das Wetter schlecht werden. Wie wäre es, wenn wir uns am Sonntag auf einen Kaffee träfen?«
»Dann aber früh am Morgen ...« Verdammt noch mal, Carla, beschimpfte ich mich selbst,
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