Nur ein Hauch von dir
irgendwie fand ich es auch nicht richtig, ihn abzulegen, solange es dir nicht bessergeht. Jedenfalls trage ich ihn immer noch.«
Das gab alles keinen Sinn für mich. Welches Päckchen? Welcher Armreif?
»Und jetzt ist das Päckchen weg, und das tut mir echt leid. Ich weiß nicht, was damit passiert ist. Als ich wieder zu mir gekommen bin, war es nicht mehr in meinem Rucksack. Aber weil dir der Armreif so wichtig ist, hab ich gedacht, du hättest ihn vielleicht gerne zurück, bevor du …« Ihre Stimme erstarb für ein paar Sekunden. »Wirklich, bevor er nicht wieder bei dir ist, habe ich das Gefühl, dass was falsch ist. Ich weiß nicht, was es hier für Bestimmungen gibt wegen Schmuckstücken und so, aber deine Mum kann ihn dir ja später immer noch abnehmen.« Diesmal klang ihre Stimme wie erstickt. »Meine Zeit ist fast rum«, krächzte sie. »Ich möchte nur, dass du weißt, dass du die beste Freundin warst, die man haben kann, und dass ich dich nie vergessen werde. Bitte vergib mir, wenn ich irgendwie an dem hier schuld bin. Ich werde dich schrecklich vermissen.« Sie brach in Tränen aus.
Ich spürte, wie mein Arm angehoben und etwas Kühles und Angenehmes um mein Handgelenk gelegt wurde. Grace beugte sich vor, küsste mich, und zwei heiße Tränen tropften mir aufs Gesicht.
»Ich liebe dich, Alex. Sei glücklich, wohin du auch gehst.« Sie schluchzte laut auf, und dann war sie weg.
Ich war also so gut wie tot. Sie war zum letzten Abschied gekommen. Seltsamerweise spürte ich keine Panik in mir aufkommen. Ich spürte den Armreif auf der Haut meines Handgelenks. Es war, als würde er eine Welle von Ruhe verströmen, die meinen Arm hinauflief und durch meinen ganzen Körper schoss. Dann näherte sich die Welle meinem Kopf. Was war da los? War es das? Fühlte sich so der Tod an? Ich spürte, wie dieses Gefühl der Ruhe langsam in den einzigen Teil von mir strömte, der immer noch ich war. Als es mein Gehirn erreichte, hatte ich plötzlich die blendende Vision eines Gesichts. Ein Gesicht, von dem ich wusste, dass ich es liebte und begehrte. Dann spürte ich plötzlich einen brennenden Schmerz, und ich versuchte, mich aufzusetzen, um gegen ihn anzutreten.
17 Erinnerungen
Ganz allmählich nahm ich den Lärm wahr. Menschen sprachen laut miteinander, eine Maschine piepte, und es schien ein Streit im Gange zu sein.
»Aber ich kann Ihnen versichern, dass Alex sich einen Moment aufgesetzt hat«, die Stimme klang ziemlich angespannt. »Sehen Sie sich doch nur die Ausdrucke an. Da war was. Die Anzeigen haben verrückt gespielt.«
»Ich danke Ihnen, Schwester Price. Ich übernehme jetzt. Gehen Sie einfach zurück an Ihre Arbeit.«
Ich hörte ein ärgerliches Schnauben und Schritte, die sich entfernten. Dann die atemlose Stimme meiner Mutter. »Herr Doktor, was ist passiert? Ich habe gehört, dass es eine Veränderung gegeben hat, dass Alex sich bewegt hat. Stimmt das? Was hat das zu bedeuten?«
Der Arzt klang genervt. »Wie ich Ihnen schon mehrmals erklärt habe, Mrs Walker, hat Alex eine irreversible Stammhirn-Dysfunktion. Wir haben alle erforderlichen Scans durchgeführt, und es gibt keinerlei Anzeichen irgendeiner Besserung. Wenn sie irgendetwas gemacht hat, was ich im Moment nicht glauben kann, dann ist das unmöglich aus eigenem und bewusstem Antrieb geschehen.«
»Aber sie hat sich aufgesetzt! Die Besucher an dem Bett drüben haben es gesehen.«
»Tut mir leid, aber das ist einfach nicht möglich. Sie müssen sich geirrt haben.«
»Aber Dr. Sinclair«, sagte eine neue tiefe Stimme, »Sie werden verstehen, dass wir darauf bestehen müssen, der Sache nachzugehen. Und was haben wir schon zu verlieren?«
»Ich kann Ihnen versichern, dass weitere Untersuchungen Ihnen nur unnötige Kosten verursachen und Ihre Hoffnung vergeblich schüren würden.«
Der Streit ging weiter und weiter. Ich brauchte Ruhe, um nachzudenken. Irgendwas hatte sich verändert, und zwar auf eine Art, die ich noch nicht richtig fassen konnte. Wenn nur mein Dad aufhören würde, den Arzt anzuschreien.
Mein Dad? Woher wusste ich, dass die Stimme zu meinem Dad gehörte? Ich sah ihn vor mir mit seinen eigentlich freundlichen und verschmitzten Augen, die den Arzt jetzt bestimmt unter gerunzelter Stirn zornig anfunkelten. Was war passiert? Ich versuchte, mich zu erinnern, aber hier war einfach viel zu viel los.
»Seid bitte ruhig«, bat ich, bevor ich merkte, dass mir ein langer Schlauch in der Kehle steckte. Ich wollte ihn raushusten.
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