Nur ein Hauch von dir
wollte jetzt ungestört mit Callum sprechen, irgendwo, wo ich ihn besser sehen konnte.
»Ich würde gerne meine E-Mails durchsehen und ein paar von meinen Freundinnen anrufen, um ihnen zu sagen, dass ich wieder zu Hause bin. Macht es euch was aus, wenn ich ein bisschen nach oben gehe?«
Mum lächelte mich zufrieden an. »Überhaupt nicht. Geh ruhig.«
Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich über ihrem Kopf ein kurzes Aufflackern von Licht, leuchtend gelb und tanzend. Ich kniff die Augen zusammen.
»Was ist los, mein Schatz?«
Ich musste mich geirrt haben. »Ich glaube, du lockst seit neuestem Glühwürmchen an.« Ich lachte. »Da ist gerade eins über deinem Kopf rumgeschwirrt.«
»Solange sie nicht beißen, ist mir das egal«, bemerkte sie und drückte mich noch einmal. »Ich bring dir nachher eine Tasse Kaffee hoch.«
Da war es wieder. Komisch. Ich hatte noch nie ein Glühwürmchen im Haus gesehen, und außerdem war es Tag. Aber ich hatte andere Dinge im Kopf. Ich wollte Callum sehen. Ich ging nach oben, machte sorgfältig die Tür zu und setzte die Kopfhörer auf, dann stellte ich den Spiegel zurecht. Als ich seinen Namen rief, spürte ich das vertraute Prickeln im Arm, und da stand er hinter mir. Er sah so toll aus wie immer. »Willkommen zu Hause, meine Schöne.«
»Es ist wirklich gut, wieder zurück zu sein«, sagte ich und langte nach oben, dorthin, wo sein Gesicht sein musste. »Ich hab es so vermisst, das hier tun zu können.«
Als meine Finger seine Backe streiften, spürte ich einen hauchzarten Widerstand. Er schloss die Augen, und ich konnte sehen, wie er sich auf die Berührung zubewegte. Ich drehte mich so weit um, wie ich konnte, wenn ich gleichzeitig noch in den Spiegel schauen wollte, um zu sehen, wo seine Lippen waren, und küsste ihn zart auf die Lippen.
Er riss überrascht die Augen auf – und küsste mich zurück. Es war ein wunderbar leichtes Gefühl, als würde mich eine Feder berühren.
Schließlich zog er sich ein bisschen zurück. »Hast du überhaupt eine Ahnung davon, was du mit mir machst?«
Ich grinste ihn an. »Allerdings. Und es ist das absolut Letzte, was du verdienst.«
Ich fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und über den Hals und dann wieder zu seinem Gesicht. Ich wollte seine Augen sehen. Sie waren dunkel vor Leidenschaft.
»O Alex«, flüsterte er. »Ich liebe dich so sehr.« Wieder zog er sich ein bisschen zurück und betrachtete mich im Spiegel. »Ich kann es noch gar nicht fassen, dass ich dich tatsächlich wiederhabe. Ich scheine dich schon so viele Male verloren zu haben. Ich wünschte, ich hätte dir sofort alles erzählt, gleich nachdem ich Catherine begegnet war. Dann wäre nichts von dem passiert.«
»Es hat keinen Sinn, das jetzt zu bereuen, und schließlich ist ja auch kein dauerhafter Schaden entstanden.« Das stimmte zwar nicht so ganz, doch er weigerte sich, näher auf das Problem mit seinem nahezu leeren Amulett einzugehen.
Soweit ich wusste, erledigte er das, indem er frühmorgens und spätabends ausging. Und ich wollte nicht fragen, ob er seine Prinzipien geopfert hatte, um die schleichende Verzweiflung fernzuhalten, und sein Amulett immerhin notdürftig gefüllt hatte.
Ich kuschelte mich in seine Arme zurück und sah ihn an. Ich hätte Stunden damit zubringen können, mir einfach seine feinen Gesichtszüge einzuprägen, bis sie mir so vertraut wären wie meine eigenen. Ich schwelgte in seinem Anblick. Im Krankenhaus hatte ich nur den kleinen Make-up-Spiegel gehabt, und der reichte nun wirklich nicht, um ihm gerecht zu werden.
»Callum, was glaubst du, wie alt du bist?« Er wollte den Kopf schütteln. »Nein, lass mal, mir ist klar, dass du es nicht genau weißt, aber was meinst du? Kannst du das schätzen?«
Er seufzte. »Das wüsste ich selbst gern.«
»Es muss furchtbar sein, nicht einmal das genau zu wissen.«
»Ist es auch. Die einzige Sache, bei der ich weiterkomme, ist das relative Alter der anderen.«
Ich blickte ihn fragend an.
»Die anderen Versunkenen sind ganz unterschiedlich alt. Einige sind jung wie ich, andere im mittleren Alter. Und ein paar sind echte Greise.«
Ich kapierte immer noch nicht. »Und was hilft mir das?«
»Ich muss ungefähr so alt sein, wie ich aussehe. Wir behalten unsere allgemeine Erscheinung, wenn wir rüberkommen.«
Das brachte mich auch nicht weiter. »Dann schau dich doch an, was schätzt du?«
»Hm, andersherum: Was wäre denn das richtige Alter für dich?«
Ich lachte. »Na hör mal, das
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