Nur ein Katzensprung
die ganze Zeit stellen wollte, doch er fürchtete sich vor der Antwort. Er druckste herum. „Müssen wir …, rechnen wir …, wird es …?“
„Ob wir davon ausgehen müssen, dass weitere Kinder entführt werden, willst du wissen?“ Spusi-Marc wiegte den Kopf. „Wenn die beiden Fälle zusammenhängen, ja. Da bin ich mir recht sicher.“
„Meine Herren, in Anbetracht der Sachlage erwarte ich sie um 17 Uhr zu einer erneuten Lagebesprechung.“ Mausig verließ den Besprechungsraum fast fluchtartig.
Kofi lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Manchmal macht mir mein Job überhaupt keinen Spaß.“
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Holzminden
Dienstag, 1. November 2011
gegen 11.30 Uhr
16
Drei ziemlich unerfreuliche Gespräche hatte Kofi bereits hinter sich. Nun stand er vor einem Einfamilienhaus, das man nur schmuck nennen konnte, mit ordentlichen Rabatten, gepflegten Obstbäumen und glänzenden Rosenkugeln auf Holzstäben.
Kofi klingelte. Eine Frau, sechzig Jahre jung, bleistiftkurze Haare, in Latzhosen und einem schlabberigen T-Shirt, öffnete ihm. „Hi.“
„Guten Tag, Kriminalkommissar Kofi Kayi, ich müsste bitte mit Herrn Kruse sprechen, ist er da?“
Ihr Lächeln zerbröckelte wie alter Pecorino. „Können Sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?“
„Wenn ich das könnte, wäre ich nicht hier, oder glauben Sie, mir macht das Spaß?“
„Wer weiß!“ Sie rührte sich nicht, blieb in der Türöffnung stehen.
Kofi seufzte. „Ich kann ihn auch zu uns in die Dienststelle bestellen.“
Widerstrebend schob sie die Tür weiter auf. „Kommen Sie herein. Er ist im Wohnzimmer.“
Sie waren fast an der Wohnzimmertür angekommen, als sie plötzlich stehen blieb. „Bitte“, sagte sie leise, „bitte, lassen Sie mich zuerst mit ihm reden.“
Kofi zögerte. ‚Wollte sie ihn warnen? Wovor? Wahrscheinlich wollte sie ihn eher vorbereiten.‘ Dann stimmte er zu.
Während sie in dem angrenzenden Zimmer verschwand, betrachtete er die Ansichtskarten, die an einer Pinnwand neben der Tür zur Küche steckten. Einige schienen bereits Jahrzehnte alt zu sein. Er hörte gedämpfte Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was gesagt wurde.
Schließlich kam Frau Kruse wieder zu ihm zurück. „Wir haben von der Entführung in der Zeitung gelesen. Er will nicht mit Ihnen sprechen. Er sagt, er hat dem Jungen nichts getan.“
„Das muss ich von ihm selber hören. Bitte!“ Die Frau tat ihm leid, aber er musste sich vergewissern. Er trat an ihr vorbei, schob die Tür auf und ging in das Wohnzimmer.
Er kam nur wenige Schritte weit. Der gesamte Raum wurde von einer Modelleisenbahnplatte eingenommen. In der Mitte der Platte war ein Ausschnitt, darin saß ein hagerer Mann hinter einem Steuerpult. Er betrachtete Kofi aus wässrig blauen Augen. Kofi erwiderte seinen Blick, konnte aber nichts darin lesen. Der Mann schien einfach durch ihn hindurch zu blicken. Ein lauter Pfiff ließ Kofi zusammenzucken.
Eine piepsige Stimme sagte: „Auf Gleis 4 Einfahrt des Intercity aus Kassel Wilhelmshöhe zur Weiterfahrt nach Hannover, Uelzen und Hamburg. Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges.“
Kofi sah, wie sich Schranken herabsenkten, Weichen sich verstellten, Signallampen aufleuchteten und wieder erloschen. Aus einem Stall kam eine Kuh, und winzige Feuerwehrmänner löschten ein brennendes Haus.
Wohin er auch sah, überall gab es detailgetreue Szenen. Er entdeckte einen Biergarten. Auf den Tellern lagen Würstchen, und in den Gläsern schien eine gelbe Flüssigkeit zu schäumen. Kofi staunte. Plötzlich stand Frau Kruse neben ihm. „Das ist sein Leben.“
Kofi schaute auf. „Guten Tag, Herr Kruse, ich bin Kriminalkommissar und muss Sie fragen, wo Sie am Sonntag, gegen Abend gewesen sind.“
Der Mann legte den Kopf etwas schräg. „Ella, wo war ich? In Göttingen, oder?“ Er erhob sich. Nachdem er einige Knöpfe gedrückt hatte, klappte er ein schmales Stück der Eisenbahnplatte hoch, so dass er aus der Mitte herauskommen konnte. Er ging bedächtig, fast als hätte er Muskelkater und vornüber gebeugt. Seine Hosen schlackerten als wären sie an einem Besen aufgehängt.
„Kommen Sie mit, junger Mann, ich zeig’s Ihnen.“
Erstaunt folgte Kofi ihm in die Küche. Hier war es ausgesprochen gemütlich. Holzmöbel, zahlreiche Grünpflanzen und bunte Kissen auf einer geräumigen Eckbank dominierten den Raum. Kruse öffnete eine Schranktür und nahm ein blaues Heft heraus. Er reichte
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