Nur ein Katzensprung
immer ihre Auftritte an. Sie ist so stolz auf sich.“
‚Na klar‘, dachte Kofi. ‚So stolz, dass sie dabei einschläft.‘ Trotzdem taten die Eltern ihm leid. Herr Nielsen stand mit hängenden Schultern am Bett und streichelte Emmas gelbes Nachthemd mit bunten Schmetterlingen, das über dem Fußteil hing.
„Emma ist das zweite Kind, das innerhalb weniger Tage verschwunden ist. Sie haben von Kelvins Entführung gehört, oder?“, fragte er.
„Da gibt es keine Verbindung.“
Kofi wollte sich nicht streiten. „Mag sein, die Presse wird das jedoch nicht unbedingt genauso sehen. Sie müssen damit rechnen, dass die Medienvertreter an Sie herantreten, sobald wir die Suchmeldung herausgegeben haben.“
„Wird das den Entführer nicht verärgern?“
„Haben Sie einen Verdacht?“
„Nein, nein, ich dachte nur, man sieht das ja immer in Krimis. Die Entführer verlangen jedes Mal, dass nicht die Polizei eingeschaltet wird.“
Kofi schloss die Augen. „Sie haben aber die Polizei eingeschaltet.“
„War Emma oft allein mit Sina unterwegs?“, fragte Stefan Ollner.
„Eigentlich nicht. Meistens hat sie sich mit Freundinnen getroffen, die auch Hunde haben oder gern welche hätten.“
„Heute auch?“
„Nein, ihre beiden Freundinnen durften heute nicht draußen spielen. Deshalb hat sie Kim angerufen, sie wollte, dass ich sie vor dem Ballettunterricht zu ihr bringe.“
„Warum hast du sie nicht gleich zu Kim gebracht? Warum musste sie erst noch mit Sina Gassi gehen?“ Herr Nielsens Gesicht färbte sich rot vor Aufregung.
„Nachmittags ist das Emmas Aufgabe. Das war die Bedingung, als wir ihr den Hund gekauft haben.“
Herr Nielsen beharrte: „Du hättest mitgehen können.“
„Du ebenso.“
„Ich musste arbeiten.“
„Dass ich nicht lache.“
Stefan unterbrach die beiden. „Was wollten die beiden Mädchen zusammen machen?“
„Emma tat sehr geheimnisvoll. Es ging um eine Überraschung für Frau Weisz, ihre Klassenlehrerin, glaube ich.“
„Sie haben bei Kim angerufen? Da ist sie nicht?“
„Unmittelbar nachdem wir gemerkt haben, dass Emma verschwunden ist.“
„Sagen Sie mir bitte die Adresse von Kim. Wie heißt sie mit vollem Namen?“
„Kim Rugenstein, aber Emma wollte sich mit ihr bei Kims Tante treffen, Anna Blume, das ist der Partyservice in der Sohnreystraße. Die kümmert sich um Kim, solange die Mutter arbeiten muss. Alleinerziehend, Sie wissen schon.“
Stefan notierte sich die Informationen und fragte schließlich: „Kennen sich die beiden Mädchen schon lange?“
Herr Nielsen nickte. „Kim hat mit ihren Eltern im Nachbarhaus gelebt, bis zur Scheidung der Eltern vor knapp zwei Jahren.“
Schweigend fuhren Kofi und Stefan zur Dienststelle zurück. Beide fühlten sich leer und ausgelaugt und so hilflos wie noch nie.
Wenn sie wenigstens einen Anhaltspunkt hätten, irgendeinen.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Holzminden
Dienstag, 1. November 2011
gegen 20 Uhr
21
Irene fühlte sich überhaupt nicht wohl dabei, Kim allein zu lassen. Zwar lag sie eingemummelt mit ihrem Lieblings-Kuschelschaf in Irenes Bett, doch eingeschlafen war sie noch nicht. Was war, wenn sie Angst bekam? Irene überprüfte noch einmal ihr Handy. Genug Strom, voller Empfang, Lautstärke auf Maximum. Vielleicht sollte sie besser Anna um Hilfe bitten oder ihre Mutter. Viel Lärm um nichts. Kim war sieben Jahre alt und konnte durchaus einmal eine Stunde allein bleiben. Allerdings waren da die verschwundenen Kinder.
Irene hatte Kim mehrmals eingeschärft, nicht die Tür zu öffnen, wenn es klingeln sollte, und das Haus auf gar keinen Fall zu verlassen. Rasch blickte sie auf ihre Armbanduhr. Eine Stunde würde sie bleiben, keine Minute länger.
Im Forum der Grundschule hatten sich unglaublich viele Eltern versammelt. Einige hatten ihre Kinder dabei. Die Schulleiterin, Johanna Ebenreiter, stand neben der Eingangstür und wirkte beunruhigt.
Der Schulelternratsvorsitzende, der Vater eines Zwillingspärchens aus dem vierten Jahrgang, den Irene nicht näher kannte, bat um Ruhe. Nachdem alle einen Platz gefunden hatten, übergab er das Wort an Gerd Schwarze. Die ersten Sätze, die er sagte, waren schwer verständlich. Lauter-Rufe brachten ihn noch mehr durcheinander. Erst als der Hausmeister ihm ein Mikrofon gegeben und den Ton justiert hatte, war er klar zu verstehen. Applaus brandete auf.
Die ersten Sätze las Schwarze von seinem Manuskript ab.
„Liebe
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