Nur ein Katzensprung
dem Rücken und stieß leise Schnarchgeräusche aus. Bekam sie einen Schnupfen?
Leise schloss Irene die Tür, schlich die Treppe hinunter und brach auf.
Sie hatte beschlossen, das Fahrrad zu nehmen, für alle Fälle. Anhand ihres Autos wäre sie leicht zu identifizieren.
Doch als sie die alte Klapperkiste jetzt aus der Garage schob, begann sie zu zweifeln. Es war empfindlich kühl geworden, und die Mäntel der Reifen waren rissig. Wenigstens befand sich noch genügend Luft darin.
Sie radelte los. Anfangs ging es bergab, so dass sie angenehm schnell vorankam. Nach der ersten Steigung ging ihr Atem pfeifend. Glücklicherweise hatte sie den Wohnblock, in dem Leon lebte, beinahe erreicht. Sie lehnte das Fahrrad an eine Laterne und ging zum Haus.
Nur in einem Fenster auf dieser Seite brannte Licht. Bei den Einfamilienhäusern gegenüber lag alles im Dunkeln. Scheinbar hatten die Leute die Jalousien heruntergelassen.
Ihr sollte das recht sein.
Sie schloss die Haustür auf und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben. Es roch nach Reinigungsmitteln, sowohl in der Kabine als auch auf dem Korridor.
Zielstrebig ging sie zu Leons Wohnungstür, drehte den Schlüssel herum, schlüpfte hinein und klappte die Tür hinter sich zu. Erst dann schaltete sie die Taschenlampe an. Hier drinnen roch es nach abgestandener Luft.
Ohne sich lange aufzuhalten, ging sie ins Schlafzimmer. Alles sah noch so aus, wie bei ihrem ersten Besuch, jedenfalls so weit sie das beurteilen konnte. Sie ließ sich auf alle viere nieder und untersuchte das Bettlaken. Zentimeter für Zentimeter. Abgesehen von ein paar Haaren, dunkelbraun und ein wenig gelockt, die eindeutig von Leon stammten, und einem benutzten Taschentuch fand sie nichts. Keinen einzigen Fleck. Keine fremden Haare, schon gar keine glatten, blonden, die sie Stellas Bob zuordnen konnte.
Sie setzte sich auf den Futonrand und atmete durch. Ein endgültiger Beweis war das nicht. Schließlich konnten sie auch in der Badewanne oder im Wohnzimmer … Allerdings lagen hier die Handtücher. Sie überwand sich und untersuchte auch die. Nicht ein einziges Haar, an keinem der Badelaken.
Sie bekam beinahe einen Herzinfarkt, als das Telefon läutete und kurz darauf Leons Stimme durch die Dunkelheit klang.
„Hi, ich bin nicht zuhause. Sprich nach dem Piep, sofern du nicht zur dunklen Seite der Macht gehörst.“
„Ich will mein Geld zurück“, sagte eine männliche Stimme ruhig. „Wenn die Tiere nicht innerhalb von 24 Stunden bei mir eintreffen, werde ich an Ihrem Anwalt ein Exempel statuieren lassen. Sollte Sie das nicht ausreichend beeindrucken, nehme ich mir als Nächstes ihre blonde Partnerin vor. Haben wir uns verstanden?“
Irene saß noch immer zitternd auf dem Boden. Die Stimme kannte sie. Woher?
Von welchen Tieren sprach er?
Plötzlich wusste sie, wer angerufen hatte. Der Kerl, der am Donnerstag in ihrem Büro einen auf dicke Hose gemacht hatte, als die beiden Polizisten da waren.
Sie rappelte sich auf und verließ die Wohnung.
Sie brauchte eine Viertelstunde bis zum Katzensprungtor. Auf den Straßen waren noch Leute unterwegs. Eine Gruppe Jugendlicher hatte sich um den Brunnen versammelt. Sie hörte, wie Bierdosen geöffnet wurden.
Ihr Fahrrad stellte sie im Durchgang unter der Informationstafel über die Synagoge ab, die sie schon so oft gelesen hatte, wenn sie zum Luftschnappen heruntergekommen war.
Die Treppenstufen knarrten noch lauter als sonst.
Während sie ihren Rechner hochfahren ließ, ging sie in Stellas Büro. Möglichst leise zog sie die Schubladen heraus und prüfte den Inhalt. Handgeschriebene Schriftstücke las sie an. Dann fand sie, wonach sie gesucht hatte. Ein Foto von Oliver Nussbaum, verkehrt herum und ganz zu unterst. Ein Foto von Leon fand sie nicht. Natürlich war das kein Beweis, aber es war immerhin ein Beleg, der darauf hinwies, dass Stella die Wahrheit gesagt hatte.
Sie hoffte, dass sie alles wieder ordentlich zurückgelegt hatte, und schlüpfte aus dem Zimmer. Auf dem Flur horchte sie.
Schritte?
Fehlalarm.
Sie gingen draußen vorbei.
Als Nächstes nahm sie sich Olivers Büro vor. Die Beethovenbüste schaute vom obersten Regalbrett düster auf sie herab. Auf der Schreibtischplatte lagen nur zwei CDs. David Garretts „Legacy“ und „Night of Hunters“ von Tori Amos. Sie hatte bemerkt, dass Oliver in seinem Büro beinahe ständig einen Knopf im Ohr hatte und Musik hörte. Allerdings hätte sie nicht gedacht, dass es sich dabei um Klassik
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