Nur ein kleiner Sommerflirt
O’snot.«
Dieses Mal gluckst mein Lachen einfach ohne Vorwarnung aus mir heraus. O’snot, das klingt für meine amerikanischen Ohren wie O’Rotz. Als ich mich wieder ein bisschen einkriege und merke, dass keiner mitlacht, höre ich ziemlich schnell damit auf. Okay, jetzt ist O’snot nicht nur angepisst, nein, sie hat sogar mein berühmtes, einzigartiges Hohnlächeln drauf, als ob es ihre eigene Erfindung wäre.
Ich halte ihr nicht die Hand zur Begrüßung hin, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass meine rotzige Cousine sie ignorieren würde, und beschränke mich auf ein »Hi«.
»Hi«, erwidert sie, wobei sie die Zähne kaum auseinanderbekommt. Nett.
»Gehen wir rein, damit du deine Safta kennenlernen kannst«, schlägt Onkel Schleim vor.
Mit einem Hauch von Befriedigung stelle ich fest, dass auch Rons T-Shirt Schweißflecken unter den Achseln hat. Bei mir sind sie so groß wie Grapefruits, aber bei Ron wie kleine Wassermelonen. Er ist noch viel nervöser als ich angesichts des bevorstehenden Treffens mit meiner Großmutter.
Ha!
6
Vor manchen Problemen kann man weglaufen, aber dann tauchen eben neue auf.
Zögernd betrete ich das Haus und sehe mich um. Direkt vor mir befindet sich die Küche. Ich folge Ron nach links und stehe einer Frau gegenüber, die neben dem Fenster in einem Schaukelstuhl sitzt. Ihr weißes Haar ist von dunklen Strähnen durchzogen.
Mit Augen – so strahlend blau, dass sie fast zu leuchten scheinen – sieht sie mich an. Als unsere Blicke sich treffen, kommt es mir vor, als würde ich mir im Spiegel in die Augen schauen. Ich bin so überwältigt, dass es mir den Atem verschlägt. Die Luft kommt mir auf einmal dick und zäh vor.
Ich schnaufe – das Atmen fällt mir schwer.
Meine Großmutter.
Meine kranke Großmutter.
Sie sieht klein und schwach aus. Ob sie sterben muss?
Als ich mich zum Rest der Familie umdrehe, merke ich, dass mich alle angaffen. Ich komme mir vor, als stünde ich bei irgendeiner Doku-Soap vor der Jury, und die anderen sind die Zuschauer. Die Stimme eines überdrehten Fernsehansagers in meinem Kopf dröhnt: Wird Amy einen Fehler machen und dieses erste Kennenlernen vermasseln? Verpassen Sie nicht die nächste Folge von »Uneheliche Kinder«, in der wir erfahren, ob ihre kranke Großmutter Amy vor den Augen von dreißig Millionen Zuschauern annimmt oder zurückweist …
Noch ehe ich mich’s versehe, mache ich kehrt und laufe aus dem Haus. Tränen schießen mir in die Augen. Ich renne und renne und renne, bis mir die Beine versagen. Vorbei an Häuserreihen, Heuhaufen, Pferden, Kühen und Schafen, als wäre ich auf irgendeinem Farm-Set in Hollywood.
Als ich aufhöre zu rennen und stattdessen normal laufe, geht mir durch den Kopf, dass Safta mich für völlig bescheuert halten muss. Eigentlich wollte ich sie umarmen – ehrlich. Aber nicht vor dem Rest der Familie, der jeden meiner Schritte, jede meiner Gesten beobachtet.
Ich laufe weiter, stinksauer auf ME, weil er aus meinem ersten Treffen mit Safta eine Großveranstaltung gemacht hat. Vor mir taucht ein niedriger Drahtzaun auf, doch als ich gerade darübersteigen will, hält mich eine Stimme auf.
»Da kannst du nicht hin.«
Ich erstarre und drehe mich zu der barschen Stimme um. Es ist Kein-T-Shirt-Typ, der vor einem Heuhaufen, so hoch wie ein dreistöckiges Haus, steht. Ein dünner Schweißfilm auf seiner Brust glänzt in der Sonne, aber ich versuche, dem keine Beachtung zu schenken, und denke stattdessen an etwas Unangenehmes. Zum Beispiel, dass er bestimmt nach Schaf und Schweiß stinkt und ganz dringend eine Dusche braucht. Genauso wie ich. Mit den Fingerspitzen wische ich mir die Tränen weg, die mir über die Wangen laufen.
»Ist das etwa kein freies Land?« Ich bemühe mich, meiner Stimme einen festen Klang zu verleihen.
Das würde mir gerade noch fehlen, vor irgend so einem supercoolen Macho Schwäche zu zeigen.
Er dreht sich um und wirft einen ganzen Ballen Heu in den Schafpferch.
»Auf dem Schild steht, dass hinter dem Zaun ein Minenfeld liegt. Wenn du dein Glück auf die Probe stellen willst – ich werde dich nicht aufhalten«, sagt Kein-T-Shirt-süßes-Arschloch, während er die Schafweide betritt.
Ich sitze noch immer rittlings auf dem Zaun. Verdammt. Das IST ein Kriegsgebiet. Ich betrachte meinen Fuß auf der anderen Seite des Drahtzauns – da habe ich wohl Glück gehabt, dass er noch dran ist und nicht weggesprengt wurde. Behutsam hebe ich mein Bein und bringe es zurück auf die
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