Nur ein kleiner Sommerflirt
und auf die anderen Berge in der Ferne ist atemberaubend. »Chicago ist so platt wie …« Ich will schon »Snotty« sagen, verkneife es mir aber. »Wo ich herkomme, gibt es keine Berge. Wahrscheinlich bauen sie deshalb auch so viele Wolkenkratzer – das sind sozusagen die Berge von Chicago.«
»Ich war noch nie in Chicago«, meint Safta .
»Dann musst du mich mal besuchen kommen. Ich zeige dir den Sears Tower. Vom obersten Stockwerk aus kann man vier Bundesstaaten sehen. Das ist total cool. Und wir haben den Michigansee. Der ist so riesig, dass man nicht mal bis ans andere Ufer schauen kann.«
Mir gefällt die Vorstellung, sie überall herumzuführen, wenn sie mich besuchen kommt. Den Millenium-Park würde sie mögen, dort könnte sie Leute beobachten und mitten in der Stadt ein Picknick machen.
Und das Art Institute of Chicago gefällt ihr bestimmt auch. Und das Museum of Science and Industry mit seinen grandiosen Exponaten. Am meisten fasziniert mich dort die Ausstellung über tote Babys.
Eigentlich heißt sie Neugeborenen-Ausstellung, aber ich nenne die Dinge gern beim Namen. Es handelt sich um eine Sammlung echter toter Babys in verschiedenen Entwicklungsstadien, die alle in Formaldehyd oder einer anderen Flüssigkeit konserviert sind. Sie haben ungefähr dreißig Embryos und Föten – im Alter von etwa einer Woche bis hin zum voll ausgereiften Baby. Sogar Embryos von eineiigen Zwillingen werden gezeigt. Es ist das Coolste, was ich je gesehen habe.
Ja, es wäre echt super, wenn Safta zu Besuch käme.
Ich seufze und gebe mich noch einen Augenblick meinen Tagträumen hin, ehe ich in die Realität zurückkehre. »Es ist, als könnte man von hier oben aus über das ganze Land schauen«, sage ich. Dann fallen mir die Einkaufscenter ein, die viele, viele Meilen entfernt sind. »Aber es ist so weit weg von allem.«
»Du bist ein Stadtmensch, was?«
»Allerdings. Gib mir eine Kate-Spade-Handtasche und ein Paar Lucky-Jeans und ich bin glücklich.«
Der sanfte, warme Klang ihres Lachens erfüllt die Luft.
»Ich möchte nirgendwo anders sein als hier. Weit weg vom Lärm und von den Menschenmengen. Für eine alte Frau wie mich ist das hier das perfekte Fleckchen Erde. Außerdem braucht man in meinem Alter keine Kate-Spade-Handtaschen und Lucky-Jeans mehr.«
»Ich wette, dass du als Teenie eine heiße Nummer warst«, platze ich heraus und möchte die Worte im nächsten Moment am liebsten ungesagt machen. Mit ihr zu reden, als wäre sie eine meiner Freundinnen, ist irgendwie nicht richtig.
»Mit achtzehn habe ich deinen Großvater geheiratet.«
»War es Liebe auf den ersten Blick?«
»Nein, ich konnte ihn anfangs nicht ausstehen. Bis er eines Tages mit Blumen ankam.«
Blumen. Wie originell. »Er hat dir ein paar Rosen geschenkt und du hast dich in ihn verliebt?« Es ist eine süße Geschichte, wenn auch ein wenig langweilig.
Safta tätschelt meine Hand. »Nein, motek . Er hat mir den ganzen Blumenladen gekauft. Und dabei war der arme Mann Pollenallergiker.«
»Wow.« Um mich wäre es geschehen, wenn mir einer meinen eigenen Abercrombie-&-Fitch-Laden kaufen würde. Das wäre wahre Liebe.
Safta macht Anstalten aufzustehen und ich nehme sie am Ellbogen und helfe ihr. Obwohl sie mir gesagt hat, dass es ihr gut geht, habe ich das Gefühl, nicht die ganze Wahrheit zu kennen.
»Ich lege mich ein bisschen hin«, sagt sie, als sie steht. »Geh und schau dich im Moschaw um, dein Vater sollte bald mit dem Abendessen da sein.« Ich sehe ihr nach, als sie den Schotterweg zum Haus entlanggeht.
Dann atme ich tief durch und mache mich zum Eingang des Moschaws auf. Die kurvenreiche Straße eignet sich bestimmt gut zum Joggen.
Als ich an das Sicherheitshäuschen komme, steckt ein Kerl den Kopf aus dem Fenster.
»Ich gehe ein bisschen laufen«, erkläre ich.
Er nickt und öffnet das Tor.
Als ich losjogge, spüre ich, wie mir die frische Luft in der Lunge neue Energie gibt. Der Blick über die Berge ist wie eine Filmkulisse und die Musik in meinen Ohren erinnert mich an zu Hause. Ich bin im Himmel, als sich meine Schritte dem Rhythmus des Songs anpassen, den ich gerade höre.
Wenn mich Mitch jetzt sehen könnte, wie ich einen Berg hinunterjogge! Er ist ein Naturfanatiker, genau wie meine beste Freundin Jessica. Sie wäre wahrscheinlich neidisch auf mich.
Während ich an Mitch und Jess denke, passiere ich mehrere weiße Kästen. Erst als ich schon daran vorbei bin, kapiere ich, was das ist: Bienenstöcke.
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