Nur ein kleiner Sommerflirt
Volltrottel verloben kann.
Wäre ich verwöhnt, dann wäre ich von Leuten umgeben, die mich lieben. So wie Jessica. Ihre Eltern verziehen sie total. Und ich meine total mit einem großen »T«. Sie hat nicht nur zwei Brüder und eine Schwester, sie hat auch Eltern, die zusammenleben und sich so sehr mögen, dass sie beim Fernsehen Händchen halten. Ich habe sogar gesehen, wie sie sich küssen. Und das, obwohl sie vier Kinder haben und schon alt sind – bestimmt über vierzig oder so.
Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bäckt Jessicas Mom auch noch diese kleinen, fluffigen, kohlenhydratarmen Minimuffins, die einem auf der Zunge zergehen. Und wisst ihr auch, warum sie die macht? Ich sage es euch: einzig und allein, weil Jessica darauf abfährt. Nicht nur, dass ich keine fluffigen, auf der Zunge zergehenden, kohlenhydratarmen Muffins kriege, nein, Mom weigert sich sogar, mir im Laden kohlenhydratarme Produkte zu kaufen. Warum? Weil sie kohlenhydratarme Ernährung für Quatsch hält.
Wie kann Avi es also wagen, mich verwöhnt zu nennen?
Er läuft ums Auto herum, und ich kriege plötzlich Schiss, dass er einfach ohne mich davonbraust. Ich komme mir vor wie bei einem Test.
Ich hasse Tests.
Und was noch schlimmer ist: Ich werde das Gefühl nicht los, dass diese ganze Reise für mich ein einziger Test ist.
Ich lasse die Hand in meine Tasche gleiten und taste nach dem Davidstern, den Safta mir gegeben hat. Sie hat mir erzählt, dass in alter Zeit der jüdische Freiheitskämpfer Judas Makkabäus einen sechszackigen Stern auf sein Kriegsschild gemalt hat. Die sechs Zacken graben sich in meine Hand. Ich habe ihn immer in der Hosentasche, egal, wo ich hingehe … wie meinen ganz privaten Schild.
Als der Motor wieder anspringt, werfe ich schnell meinen Rucksack in den Wagen und springe auf.
Innerhalb weniger Minuten befinden wir uns auf einer Schotterpiste – die Staubwolken, die hinter uns aufwirbeln, beweisen es eindrucksvoll. Ich muss mich seitlich am Wagen festhalten, weil sich die Fahrt wegen all der Steinbrocken auf der Straße anfühlt, als würde man in einer holperigen Achterbahn sitzen.
Meine Brüste hoppeln rum wie verrückt – als wären sie nicht an mir festgewachsen. Ich hatte gedacht, ich hätte schon genug damit zu tun, darauf achtzugeben, dass mein Rucksack nicht von der Ladefläche rauscht, aber jetzt muss ich mich auch noch darum kümmern, dass meine Brüste im Wagen bleiben.
So fühlt es sich zumindest an. Eine hüpft dahin, die andere dorthin. Wenn ich die Arme vor der Brust verschränke, damit sie an Ort und Stelle bleiben, verliere ich das Gleichgewicht und werde gegen Doo-Doo geschleudert, der links von mir sitzt, oder gegen Ofra auf der anderen Seite.
Kann Avi nicht ein bisschen langsamer machen? Es fühlt sich an, als wäre vor uns noch nie jemand auf dieser steinigen Schotterpiste gefahren.
Hinter den Bergen geht die Sonne unter. Es ist wirklich hübsch, wie das Rot, Orange und Gelb über den Gipfeln blasser wird und der Landschaft noch einmal scharfe Konturen verleiht, bevor es ganz verschwindet. Wir fahren und fahren und es wird dunkler und dunkler. Das Licht wird mit jeder Minute schwächer. Nicht lange und es ist rabenschwarz.
Eine Stunde später halten wir endlich an. Wir sind hier im absoluten Nichts, obwohl ich in der Ferne die Lichter von Städten ausmachen kann, die wie Sterne in der Nacht funkeln.
Seit ich auf diesem Campingtrip bin, habe ich ganz vergessen, dass ich mich in Israel befinde. Auch bekannt als das Kriegsgebiet.
Aber das scheint keinen zu kümmern. Während die anderen von der Ladefläche springen, scanne ich die Umgebung, so gut es geht. Ich bin noch im Auto, als Avi um den Wagen herumkommt.
Unsere Blicke treffen sich. »Steigst du aus?«, fragt er.
Ich habe noch immer ein ungutes Gefühl, als wäre da etwas, das mir entgangen ist. Und außerdem bin ich noch längst nicht darüber hinweg, dass er mich verwöhnte Ami-Zicke genannt hat.
Als ich ihm keine Antwort gebe, zuckt er die Achseln und geht. Wohin, kann ich in der Dunkelheit nicht erkennen, aber ich höre den Kies unter seinen Füßen knirschen.
»Warte!«, rufe ich.
Das Knirschen hört einen Moment lang auf, dann kommt es wieder näher. Ich kann spüren, wie er mich anstarrt.
»Ich, äh, kannst du mir beim Aussteigen helfen?«, sage ich lahm.
Seine Hand greift nach meiner. Ich nehme sie und er dirigiert mich behutsam zum Rand der Ladefläche. Noch ehe ich weiß, wie mir geschieht, hat er meine
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