Nur ein Kuss von dir
nach mir auszustrecken, bevor er nichts mehr war als Licht. Als er verschwand, fiel sein Umhang mit einem lauten Rascheln in der plötzlich stillen Kirche auf die Steine der Galerie.
»Callum! Nein! Bitte geh nicht!«, schrie ich in das weiche Licht, das die zahllosen Funken verbreiteten. Meine Hände standen immer noch in Flammen, und die Schmerzen an meinem Handgelenk waren die reinste Qual.
Ich versuchte, einen Schritt auf die Stelle zuzugehen, wo er gestanden hatte, um seine Funken zu suchen, doch bei dem Versuch, mich zu bewegen, gaben meine Beine nach. Im Fallen langte ich so weit wie möglich nach vorne und griff eine Handvoll aus dem Lichtteich. Ganz kurz hielt ich das Licht, und es rollte auf meiner Handfläche herum, als wäre es Quecksilber. Überall um mich herum fielen die glitzernden Funken lautlos in die leere Kathedrale, der Kreis war endlich geschlossen. Es war so, als hätte jemand Tausende von Lichterketten aufgehängt, die alle funkelnd und glitzernd in Zeitlupe zu Boden sanken.
Es war erschreckend still, und das sanfte Niederfallen der Funken war die einzig sichtbare Bewegung. Plötzlich war die Helligkeit überwältigend, aber ich wollte die letzte Spur von Callum nicht gehen lassen. Ich wollte, dass ein kleiner Teil von ihm bei mir war, wenn ich starb, doch das Licht in meiner Hand versuchte, mich einzufangen, mich nach unten zu ziehen. So sehr ich es versuchte, ich konnte es nicht beherrschen. Es glitt mir durch die Finger und vereinigte sich wieder mit der schimmernden Lache auf dem Boden.
Als der letzte Tropfen gefallen war, pulsierte plötzlich alles, und eine Welle von Energie fegte um die Galerie. Das Amulett gab ein schreckliches Geräusch von sich, als würde Metall zerrissen, und der wunderschöne Stein zerbrach in zwei Teile. Einen ganz kurzen Augenblick lang wurden die glitzernden Funken blau und grün, bevor alles so hell brannte, dass ich nicht mehr hinschauen konnte. Die plötzliche Explosion konnte ich nicht sehen, sondern nur spüren. Alles wandelte sich blitzartig von reinem Licht zu schwärzester Dunkelheit, und ich merkte, wie ich vor Schmerz aufheulte, als eine ganz andere Welle mich verschlang.
Ich erwachte auf der Galerie, die nun im Dunkeln lag. Und ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Nichts war von der glitzernden Funkenflut zurückgeblieben, keine Versunkenen, keine Umhänge. Mein Arm tat entsetzlich weh, und ich traute mich kaum hinzusehen. Ich mochte zwar noch am Leben sein, doch das Amulett war weg und hatte eine abscheuliche Verbrennung um mein Handgelenk zurückgelassen. Mir war klar, dass ich ohne den Armreif nicht in der Lage war, einen der Versunkenen zu sehen, selbst wenn welche zurückgelassen worden wären.
Vorsichtig stand ich auf, doch abgesehen von der Wunde an meinem Arm schien ich unverletzt zu sein. Ich holte tief Luft, zog mich mit dem linken Arm hoch und spähte über das Geländer der Galerie. Ganz deutlich erinnerte ich mich, wie Catherine in die Tiefe gestürzt war, aber unten war nichts von ihr zu sehen. Niemand lag zerschmettert auf dem Mosaikboden. Schnell sah ich mich weiter um. Auch von Veronica gab es keine Spur. Ob sie sich vielleicht wieder erholt hatte und nach unten gegangen war? Das kam mir allerdings nicht sehr wahrscheinlich vor. Es gäbe keinen Grund, Catherines Leiche wegzubringen. Es würde Fragen, Verhöre und noch mehr Fragen geben, und alles würde noch sehr viel schlimmer.
Der schwache Schein der Abendsonne durchdrang noch knapp die Dunkelheit, und die Staubteilchen trieben träge durch die Luft. Es sah aus, als wäre überhaupt nichts passiert. Am liebsten hätte ich mich auf einen Sitz fallen lassen und angesichts all der Ungerechtigkeit geweint. Ich konnte es einfach nicht fassen, das Catherine zurückgekommen war und beschlossen hatte zu sterben, ohne den anderen zurück ins Leben zu verhelfen. Das war der Gipfel der Selbstsucht. Tränen brannten mir in den Augen, als mir Callums letzte Momente in den Sinn kamen. Ich wusste, dass das eine Erinnerung war, die sich mir ins Gehirn eingebrannt hatte und mich niemals wieder verlassen würde.
Ich blieb noch eine Weile sitzen, bis mir klar wurde, dass ich gehen musste. Ich musste hinunter zum Fluss, um zu sehen, wie mein Plan funktioniert hatte, obwohl ich in tiefster Seele wusste, dass ich mir etwas vormachte. Er war gegangen. Ich hatte selbst gesehen, wie er unter Qualen gestorben war. In der Kathedrale gab es nichts, auf das ich zu warten
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