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Nur ein Kuss von dir

Nur ein Kuss von dir

Titel: Nur ein Kuss von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. C. Ransom
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keine Zeit verlieren. Bei den Touristen war es schwieriger. Sie hatten kein Verständnis für Eile und schlenderten gemächlich durch die kleinen schmalen Gänge am Kopf der Treppe. Als wir schließlich zu dem breiteren Gang kamen, wo ich sie überholen konnte, hätte ich schreien können. Mit aller Macht unterdrückte ich meine Panik, während ich die Treppe hinuntereilte. ›Geh an all den Touristen vorbei. Nicht rennen. Sieh zu, dass die verrückte Pastorin dich nicht entdeckt. Geh zur Tür. Geh zur Tür. Geh zur Tür!‹
    Meine Hände klebten feucht an der Zeitung, als ich mich durch das Drehkreuz am Ausgang drängte. Ich ließ die kühle Stille der Kathedrale hinter mir und stürmte durch die Drehtür nach draußen. Das Sonnenlicht blendete mich. Ich musste noch weiter weg, musste mich irgendwo verstecken, um in Ruhe nachzudenken. Ich ging so schnell wie möglich los, verzweifelt bemüht, nicht zu rennen und keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
    Erst als ich am Fluss war, hielt ich an. Die Ebbe hatte am gegenüberliegenden Ufer einen Strand aus Schlamm und Kies freigelegt. Unter der Blackfriars Bridge lappte das Wasser sanft und freundlich ans Ufer. Es war still, gelegentlich kamen Radfahrer vorbei. Ich fand eine Bank, ließ mich darauffallen und zog die Knie an die Brust, um mich so klein wie möglich zu machen.
    Ich war nicht nur eine Mörderin, sondern ich hätte auch um ein Haar Callum ermordet. Mein Verstand wusste zwar, dass sie ja alle bereits tot waren, aber mein Herz sagte mir etwas ganz anderes. Mein Mund fühlte sich an wie Schmirgelpapier, und ich musste mich zusammennehmen, um nicht heftig zu zittern. Meine Gedanken kreisten um den schrecklichen Augenblick, als ich um Rob gekämpft hatte. Ich wollte Lucas zwar aufhalten, aber doch nicht foltern! Wenn ich Bescheid gewusst hätte, hätte ich es trotzdem getan?
    Ich schlang die Arme um meinen Kopf und versuchte, die Bilder abzublocken, die darin herumschwirrten, doch es kam mir noch ein schrecklicher Gedanke: Ich hatte Lucas nicht nur gefoltert und getötet, ich hatte ihn alt gemacht. Alt! Würde dasselbe mit Callum passieren?
    Endlich kam das vertraute Prickeln in meinem Arm, und Callums erschütterte Stimme erklang in meinem Kopf. »Alex! Halt doch mal still!« Die Stimme schwoll an und ebbte ab, und da merkte ich, dass ich mich wie verrückt hin- und herwiegte. Ich versuchte, damit aufzuhören, doch es war fast unmöglich. Schließlich saß ich auf meinen Händen, doch Kopf und Schultern wollten nicht aufhören.
    Ich versuchte zu sprechen, aber es kam nichts heraus, mein Mund war zu trocken. Ich schluckte ein paarmal schwer und nahm dann einen neuen Anlauf. »Ich hab ihn alt gemacht, Callum, und ihn dann umgebracht. Und wenn unser Versuch heute Nachmittag gelungen wäre? Dann hätten wir deinen gefolterten Körper da aus dem Wasser gezogen. Wir können es auf keinen Fall machen!«
    »Scht.« Ich konnte spüren, wie er mir besänftigend übers Haar strich. »Aber wir haben es nicht gemacht. Wir haben aufgehört, und ich bin immer noch hier.«
    Eine weitere Welle der Verzweiflung schlug über mir zusammen. »Aber das bedeutet, dass wir es nicht noch einmal versuchen können. Ich werde dich niemals retten können.« Meine Stimme schwoll zu einem heftigen Weinen an, und die Tränen strömten mir übers Gesicht. Die schrecklichen Konsequenzen dieser Erkenntnis türmten sich vor mir auf. Ich konnte ihn letztlich gar nicht retten, und alle meine Pläne lagen in Scherben vor mir. »Das kann ich nicht ertragen.«
    »Ich weiß.« Er klang hohl, besiegt. »Ich wünsche mir fast, es hätte vorhin funktioniert. Dann hätte ich wenigstens die Vorfreude gehabt und jetzt wäre schon alles vorbei.«   
    »Das kannst du dir doch nicht wirklich wünschen. Du kannst doch nicht ernsthaft wollen, dass du tot bist.«
    Das Schweigen war Antwort genug.
    »Wir müssen überhaupt nichts machen, noch nicht«, sagte er schließlich. »Aber du musst daran denken, dass keiner von uns aus freien Stücken hier ist. Alle von uns würden die Chance wählen, in der Versenkung zu verschwinden, auch wenn das einen weiteren schmerzhaften Tod bedeuten würde.« Wieder schwieg er kurz. »Denk dran, wir sind alle schon einmal gestorben«, fügte er dann leise hinzu, »und ich kann dich nicht haben …«
    Ich konnte es nicht fassen, dass es so weit mit uns gekommen war. Dass er mich tatsächlich bat, ihn umzubringen.
    »Das darf nicht passieren, das geht einfach nicht! Es ist so

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