Nur ein Kuss von dir
gestoßen war. Vor den Ferien hatte ich im Internet nach irgendwelchen Informationen darüber gesucht, aber absolut nichts gefunden. Warum hatte dieser Mord ein so geringes Presseecho gefunden?
Ich nahm an, dass sie bei der Morduntersuchung nur wenig Glück hatten, denn es gab ja absolut keine Hinweise auf mich und nichts sonst, was als Todesursache hätte gewertet werden können. Dennoch – ich hatte es getan.
Ich hatte Lucas zu Tode gefoltert.
Ich schloss die Augen, drückte die Knöchel dagegen und versuchte, das Bild von seinem Gesicht aus meinem Kopf zu verbannen. Doch das machte es nur schlimmer. Ich erinnerte mich bis in die kleinste Einzelheit, an den Ausbruch glitzernder Funken, die seinen Körper einhüllten, über sein Gesicht fegten und in seinen Mund, ihn vollständig bedeckten und schließlich nur noch kurz die Umrisse zeigten, wo er gewesen war. Dann war die Funkenmasse auf dem Boden zu einer Pfütze zusammengelaufen, die sehr schnell in einem Gulli verschwand.
Damals war ich einfach nur erleichtert, dass er verschwunden war, und erst später fing ich an, mir die verschiedenen Möglichkeiten zusammenzureimen. Ich hatte ihn aufgehalten, also musste ich doch dasselbe noch einmal machen können und Callum damit retten. Den ganzen letzten Monat war ich glücklich darüber gewesen, dass ich dabei Catherines Hilfe nicht brauchte. Daher war es mir auch völlig egal, dass sie verschwunden war, im Gegenteil, ich war ja froh, dass sie weg war. Beim Wegfahren hatte sie mich noch verspottet, und ich war mir sicher, sie wusste, dass jeder Versuch meinerseits, Callum zu retten, seinen Tod zur Folge haben musste.
Jetzt war ich wieder ganz am Anfang mit meinem Freund, der in einer anderen Dimension gefangen war, wo er jeden Tag entsetzlich leiden musste, ohne Perspektiven, und dazu noch mit Schuldgefühlen beladen. Es war so gemein!
Ich legte die Arme um den Kopf, machte mich auf meinem Sitz so klein wie möglich und versuchte vergeblich, an nichts zu denken. Die Dramen des Tages wollten nicht verschwinden und kreisten in meinem Kopf, bis ich kurz davor war zu schreien.
Als der Zug schließlich hielt und ich zu Fuß nach Hause gehen konnte, war ich erleichtert. Still herumzusitzen tat mir überhaupt nicht gut.
Sobald niemand mehr um mich war, rief ich Callum, der innerhalb weniger Minuten bei mir war.
»Hallo«, sagte ich möglichst unbeschwert. »Hast du Glück gehabt und sie gefunden?«
»Nein, keine Spur von ihr. Aber jetzt, wo ich weiß, wie sie aussieht und dass sie sich oft in der Kathedrale aufhält, werde ich nicht lange brauchen, um sie aufzuspüren.« Er passte sich hier auf der Straße mit Leichtigkeit meinem Tempo an. Ich klappte meinen kleinen Spiegel auf, um ihn zu sehen.
»Das ist alles so seltsam. Als würde sie mich belauern.«
»Ich weiß.« Callum wirkte verunsichert. »Deine Theorie von wegen unerlaubtem Betreten klingt etwas lahm, und wenn sie versuchen sollte, dich zu bekehren, dann geht sie das auf eine sehr seltsame Art an. Was zum Teufel kann sie nur wollen?«
»Als ich sie das erste Mal getroffen hab, dachte sie, ich wollte von der Kuppel springen. Vielleicht denkt sie immer noch, ich wäre selbstmordgefährdet.«
»Na ja, vielleicht, aber das ist immer noch ziemlich unwahrscheinlich.«
»Mir reicht’s. Ich muss rausfinden, was hier vor sich geht, mit ihr und damit.« Ich schwenkte die Zeitung. »Ich muss ins Internet, um endlich ein paar Antworten zu bekommen.«
In dem kleinen Spiegel sah ich, wie er, offenbar in Gedanken versunken, die Stirn runzelte. Seine Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst. »Ja, du hast recht«, sagte er schließlich. »Wie wär’s, wenn du versuchst rauszubekommen, was mit Lucas passiert ist, und ich geh los, um mehr über die geheimnisvolle Reverend Waters zu erfahren?« Er schaute auf meine Uhr. »Ich komme später wieder und schau, wie du weiterkommst, wenn ich in der Zwischenzeit genügend sammeln kann.«
Sofort war ich zerknirscht. »Reverend Waters kann bis morgen warten. Du musst sicherstellen, dass du kriegst, was du brauchst. Es war ein ziemlich schlimmer Tag, und bedeutet das nicht, dass du mehr sammeln musst?«
Er zuckte mit den Schultern. »Etwas schon, denke ich. Ich mache, was nötig ist. Aber ich komme nachher bestimmt wieder – und mit so vielen Antworten, wie ich finden kann.«
Ich ging möglichst schnell, um endlich nach Hause zu kommen, wo ich vielleicht ein paar Lösungen für meine Probleme finden konnte. Es roch
Weitere Kostenlose Bücher