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er zu Boden fallen könnte. Sie überreicht ihn mir mit großer Geste und in ihren Augen glitzern Tränen. Ich nehme meinen Schmuck in Empfang, überrascht darüber, dass er mir viel schwerer vorkommt. Ich drehe und wende ihn nach allen Seiten, begutachte ihn genauer als jemals zuvor. Nicht vorstellbar, dass er so alt ist, durch Jahrhunderte gereist, getragen, aufgearbeitet, vererbt und geliebt wurde. Gesucht wurde.
Obwohl es richtig gemütlich wird und meine Großtante noch viele Fragen hat, müssen wir bald aufbrechen, denn wir wollen noch bei Markus vorbeigehen und müssen heute Nachmittag pünktlich am Bus sein. Und gepackt hat auch noch keiner von uns, somit sieht es aus, als könnte es noch ziemlich stressig werden. Schließlich stehen wir an der Tür und Tante Hanne kann ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
„ Du vergisst uns nicht, wenn du zu Hause bist? Kommst du uns wieder besuchen?“, bricht es aus ihr hervor. Wenn ich bei meinem letzten Besuch noch dachte, sie hätte den Familienzwist und den Bruch mit meiner Oma Gerda gut verkraftet, so bin ich nun endgültig eines Besseren belehrt.
Es ist deutlich erkennbar, dass sie darunter leidet, kein Teil unserer Familie zu sein. Gewesen zu sein. Damit ist nämlich nun Schluss. Sie gehört dazu, das werde ich mit meinen Eltern schon regeln, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie den Streit, den Oma Gerda angezettelt hat, weiterführen wollen. Zumal meine Oma gar nicht mehr mitbekommt, wer mit wem Kontakt hat; demnach muss auf sie auch keine falsche Rücksicht mehr genommen werden.
Ich verspreche hoch und heilig, mich zu melden, anzurufen, mal eine Karte oder einen Brief zu schicken und auf jeden Fall Bescheid zu sagen, wenn ich noch mal in die Stadt kommen sollte.
„ Du bist bei uns immer willkommen“, meint Rüdiger verlegen. „Du kannst natürlich jederzeit bei uns wohnen, wenn du in Worms bist. Wir haben Platz genug und ihr Studenten seid immer knapp bei Kasse, ich kenn‘ das schon“, fügt er augenzwinkernd hinzu. Da ich nicht in Worte fassen kann, wie lieb, goldig, großzügig, gastfreundlich, herzlich und liebenswert ich die beiden finde, drücke ich sie einfach nur fest an mich und hoffe, dass die Geste mehr sagt als tausend Worte.
Während wir zu Fuß zur Villa laufen, schwärmen George und Florian, die beide auch herzlich zum Wiederkommen eingeladen wurden, ohne Unterlass von Hanne und Rüdiger. Durch die Unterhaltung abgelenkt, habe ich das mulmige Gefühl im Bauch gut verdrängen können, aber nun, wo wir an dem großen Tor ankommen, meldet es sich mit voller Wucht zurück.
Meine Beine werden zittrig, mein Puls rast. „Ich glaube, ich geh‘ lieber nicht mit rein“, krächze ich. George sieht mich mitleidig an.
„ Sicher? Aber allein hier draußen wirst du dich auch nicht wohlfühlen“, gibt er zu Bedenken.
Florian pflichtet ihm bei. „Eben. Außerdem willst du dich doch nicht von einem Bekloppten unterkriegen lassen. Er ist weg, es kann dir nichts passieren. Es ist doch besser, du überwindest diese Sache jetzt gleich, anstatt dein Leben lang zu wissen, dass es hier ein Haus gibt, in das du dich nicht mehr hineintraust.“ So etwas Tiefsinniges, Vernünftiges und von Grund auf Wahres hätte ich Florian gar nicht zugetraut. Wo er Recht hat, hat er Recht. Ich will mir wirklich nicht den Rest meines Lebens vorwerfen müssen, Angst vor einem Haus zu haben. Schließlich ist mir nichts passiert, nichts wirklich Schlimmes.
Besser, ich bringe das sofort hinter mich. Und wer weiß, falls ich tatsächlich mit Markus in Kontakt bleiben sollte, dann wäre es umso demütigender für mich, zu wissen, dass ich mich nicht in sein Zuhause traue.
Entschlossen betätige ich die Klingel. „Gut, ihr seid ja dabei.“ Beide sehen mich ermutigend an, George hakt sich bei mir unter und küsst mich auf die Wange. „Tapfere Hilda.“
Wie von Geisterhand öffnet sich das große Tor und wir gehen hindurch. Ein Schauer nach dem anderen läuft mir den Rücken herunter, mir ist furchtbar kalt und ich klammere mich an Georges Arm. Wenn ich schon bei meinem zweiten Besuch hier dachte, dass das Grundstück seinen Charme und seine Faszination, die es bei meinem ersten Besuch auf mich ausgeübt hat, verloren hat, so hat sich dieser Eindruck nun, bei meinem dritten Besuch, vervielfacht. Nicht auszudenken, wie schrecklich ein vierter Besuch auf mich wirken muss.
Erleichtert stelle ich fest, dass das Tor sich nicht
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