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man wieder die schnellen Schritte und nur einen Sekundenbruchteil später öffnet sich die Tür. Zuerst schießt Heinz-Heinrich heraus, begrüßt mich schwanzwedelnd und schnüffelt skeptisch an George und Florian. Es folgt Rüdigers Schnurrbart und schließlich tritt auch Rüdiger selbst samt Filzpantoffeln durch die geöffnete Tür.
„ Hilda, wie schön, dass du da bist“, begrüßt er mich freudig. „Und du hast Freunde mitgebracht! Kommt rein, kommt rein! Hanne! Die Kinder sind da!“, ruft er dröhnend in den Flur. George und Florian grinsen über das ganze Gesicht; George flüstert mir im Vorbeigehen ins Ohr: „Die Kinder sind da? Great! Really great!“ Es ist vermutlich schon ziemlich lange her, dass jemand George als Kind bezeichnet hat.
Noch bevor wir den Flur durchquert haben, steht Tante Hanne vor uns und begrüßt uns nicht weniger herzlich als kurz zuvor Rüdiger.
„ Ach Hilda, ich hatte schon Angst, du würdest gar nicht mehr vorbeikommen, bevor du fährst“, sagt sie leise und ihre Augen werden feucht.
Deshalb nehme ich sie in den Arm und drücke sie ganz fest an mich. „Was zwischen Oma und dir war, interessiert mich nicht. Ich bin für dich da. Und ich werde dich niemals im Stich lassen“, flüstere ich ihr ins Ohr.
In der Zwischenzeit hat Rüdiger meine zwei Männer ins Wohnzimmer geführt und die Herren haben sich bekannt gemacht. Hanne hält noch immer meine Hand fest umklammert und ist sehr ergriffen. Ich glaube, sie will mich gar nicht mehr loslassen. Auch als wir den anderen ins Wohnzimmer folgen, hält sie meine Hand. Rüdiger geht auf dem Weg zur Küche an uns vorbei und tätschelt ihr liebevoll die Wange, mir zwinkert er verschwörerisch zu.
„ Tante Hanne, darf ich dir meinen allerallerallerbesten Freund George vorstellen. Und das ist Florian, auch ein guter Freund von mir. George, Florian, das ist die Schwester meiner Oma, meine Tante Hanne“, stelle ich vor. Hanne freut sich sehr, meine Freunde kennenzulernen und die beiden benehmen sich wie wohlerzogene kleine Jungs zu Besuch bei ihrer Großtante, aber so ähnlich ist es ja auch.
Rüdiger kommt mit einem Tablett aus der Küche, darauf hat er gefährlich volle Kaffeetassen und bergeweise Plätzchen aufgetürmt, das Ganze schwankt bedenklich, erreicht uns aber unfallfrei.
„ Ich hab‘ ihr die ganze Zeit gesagt, dass du wiederkommst“, meint er und lacht. „Schon allein, weil du vor der Abreise deinen Armreif abholen musst.“
„ Aber ich wäre auch gekommen, wenn ich den Armreif nicht hier gelassen hätte“, antworte ich schnell. Dabei lasse ich meinen Blick über Hannes Handgelenk gleiten und mir fällt auf, dass sie ihn nicht trägt. Sie hat meinen Blick bemerkt und kichert verlegen.
„ Weißt du, es kam mir nicht richtig vor. Da hab‘ ich ihn lieber abgenommen“, erklärt sie.
„ Pfffffft“, kommt es aus Rüdigers Richtung. „Als du weg warst, hat sie eine halbe Stunde hier auf dem Sofa gesessen und den Armreif angestarrt. Dann hat sie beschlossen, dass er zu wertvoll ist, um ihn zu tragen, und hat ihn in ihr Schmuckkästchen gelegt. Und das hat sie im Tresor eingeschlossen“, brummt es missmutig unter seinem Schnauzbart hervor. „Ihr ganzes Leben lang verzehrt sie sich danach, das gute Stück endlich tragen zu dürfen, und dann meint sie auf einmal, sie wäre nicht gut genug dafür.“
„ Da hat sie auch gar nicht mal so Unrecht!“, ruft Florian, bemerkt sofort die Unhöflichkeit und absolute Unmöglichkeit seiner Äußerung und läuft rot an. Ich wünschte, er würde zur Abwechslung mal nachdenken, bevor er etwas sagt. „Ähm, ich meine ja nur, also, weil wir doch jetzt wissen, was wir eben wissen, und so. Ihr wisst schon. Aber das soll natürlich nicht heißen, dass Sie ihn nicht hätten tragen sollen, also, nee, das wollte ich damit nun wirklich nicht sagen“, stammelt er mit hochrotem Kopf. Der arme Kerl, er kann einem fast leidtun in seiner Unbeholfenheit.
„ Was meint er denn?“ will Hanne wissen und auch Rüdiger sieht mich erwartungsvoll an. Soll ich den beiden erzählen, was ich seit gestern Abend – beziehungsweise heute Morgen – weiß? Wird sie sich freuen, oder wird es sie nur unnötig aufregen? Hat sie nicht eigentlich ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren? Aber nicht, dass sie vor lauter Schreck einen Herzinfarkt bekommt. Wenn ich ja schon in einen komatösen Tiefschlaf falle, wie wird erst eine achtzigjährige Frau darauf reagieren, dass sie die Erbin der Nibelungen
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