Nur eine Ohrfeige (German Edition)
gewesen.«
»Für Sandi, meinst du?« Harry. Er war der Preis, den sie zu zahlen hatte. Bis in alle Ewigkeit würde sie sich mit Harry arrangieren müssen. Sie wurde lauter. »Es wäre hart für Sandi gewesen. Für Harry wäre das kein Problem gewesen. Für Harry läuft doch immer alles bestens.«
Hector war die Verachtung in ihrer Stimme nicht entgangen. Seine Laune verschlechterte sich wieder, das Lächeln wich ihm aus dem Gesicht. Sie hatte sich die Bemerkung einfach nicht verkneifen können. Er winkte Wayan heran, und sie bestellten.
»Menschen ändern sich, Aisha.«
Sie sah aufs Meer hinaus. Als Hectors Worte zu ihr durchdrangen, musste sie lachen. »Harry wird sich nie ändern.«
Hector stöhnte. »Er hat sich entschuldigt. Sie haben ihn vor Gericht gezerrt und ihn ordentlich in die Mangel genommen. Was willst du noch?«
»Ich rede nicht nur davon. Du weißt, was ich meine.«
»Himmel, das war vor mehr als zehn Jahren …«
Sie fuhr ihn an. »Er hat sie zusammengeschlagen. Das Schwein hat sie zusammengeschlagen.« Sie starrte ihn angriffslustig an.
Er antwortete nicht. Sie wusste, dass er sich genauso an den Abend erinnerte. Sie war damals mit Adam schwanger gewesen.Sie hatten die Bremsen in der Einfahrt quietschen gehört, und als Sandi hereinkam, Bluse und Hose mit dickem dunklem Blut verschmiert, hatten sie gedacht, sie sei betrunken. Dann sahen sie, dass ihre Nase gebrochen, ihre Lippen aufgeplatzt und ihr Kiefer so verschoben war, dass sie nicht mehr sprechen konnte. Als sie Hector entgegensank, fielen ihr zwei Zähne aus dem Mund. Verlass ihn, hatte Aisha gesagt, und es hatte fast wie ein Befehl geklungen. Aber Sandi verließ ihn nicht. Hector brachte sie ins Krankenhaus in der Bell Street. Dort erklärte sie, sie sei in der Fairfield Station die Treppe heruntergefallen. Seitdem hatten Aisha und sie nicht mehr darüber gesprochen.
»Er hat sie nie wieder geschlagen.«
»Sagt er.« Aisha hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Ich werde Sandi besuchen und nett zu ihr sein. Aber deinem Cousin werde ich niemals verzeihen, ist das klar? Ich hasse ihn. Es ist mir zutiefst zuwider, diesen Menschen zu kennen.«
Hector blinzelte als Erster und sah weg. »Ja, ist klar«, nuschelte er, und sie glaubte ihm. Sie atmete erleichtert aus.
Ihre Wut sank wieder hinunter in die Tiefen des Ozeans. Sie lächelte gelassen. »Ein himmlischer Abend, oder?«
Erst als sie zu Hause waren, als sie auf dem Melbourner Flughafen ihre Kinder sah, fühlte sie sich wieder halbwegs normal. Sie schloss sie in die Arme, nahm ihren Geruch in sich auf. Adam roch erdig und belebend, Melissa mädchenhaft frisch, nach Koulas Mandel-Honig-Seife. Beide verströmten den Duft von Knoblauch und Zitrone aus dem Haus ihrer Schwiegereltern. Sie waren ihre Familie. Das war das Leben, das war es, was wirklich zählte, wofür sie all die Zugeständnisse, Kompromisse und Niederlagen in Kauf nahm. Sie konnte nicht mehr von ihnen lassen, hielt auf der Fahrt die Hand ihrer Tochter, strich Adam immer wieder durchs Haar. Sie plapperten auf sie ein, unterbrachen, zankten und beschimpften sich, erzählten von der Schule, vom Sport, von
Giagia
und
Pappou
, von der Katze, vom Fußball und von den Tanzstunden,von
Australian Idol
, von ihren Freunden und ihrem Ausflug ins Kino, und sie saugte alles in sich auf und wollte es immer und immer wieder hören. Sie hatte zwei Wochen ihres jungen Lebens verpasst. Der Mond über Amed, die schweren Gerüche und das saftige Essen, der Strand und die Sonne, all das war nichts verglichen mit den beiden Wochen, die sie im Leben ihrer Kinder versäumt hatte. Sie drückte ihre Knie, küsste sie, berührte sie. Melbourne breitete sich in seiner ganzen Trostlosigkeit vor ihnen aus. Die Stadt sah aus wie ein Skelett, das zu lange in der Sonne gelegen hatte, kein Leben, kein Fleisch, kein Geruch. Doch als Manolis vor ihrem Haus hielt, musste sie sich zusammenreißen, um nicht vor Erleichterung zu weinen.
Innerhalb von ein paar Tagen war sie wieder in ihrem geregelten Vorstadtleben angekommen. Saubere Straßen und frische Luft. Bangkok, Bali, ganz Asien geriet in Vergessenheit und damit alles, was dort vorgefallen war. Außerdem begeisterte sie sich zum ersten Mal seit Jahren wieder für die Arbeit. Sie war froh über ihre Routine im Umgang mit den Tieren. Zweifel und Unsicherheiten waren ein unvermeidlicher Aspekt jeder Diagnose, daran hatte sich nichts geändert, aber sie machten ihr nicht mehr so zu schaffen. Das
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