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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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zusteuerte. Annalise lehnte den Kopf aus dem Fenster.
    »Aber du noch mehr«, brüllte sie. »Vergiss das nicht.« Er hörte das Rauschen der Wellen vom Strand, und ihre Stimme klang schrill und hässlich wie das Kreischen einer Möwe. Er lächelte wieder, winkte und nickte gehorsam. Als das Taxi außer Sicht war, lächelte er nicht mehr. Langsam ging er die Auffahrt hoch.
     
    Sandi räumte die Spülmaschine ein. Sie war selbst leicht angetrunken und drehte sich ruckartig um, als sie ihn hinter sich hörte. Ein Kaffeebecher fiel zu Boden und rollte dann hin und her, bis er unversehrt liegen blieb.
    »Glück gehabt.« Sie zuckte gut gelaunt mit den Schultern und bückte sich, um den Becher aufzuheben. Er hätte ihr in diesem Moment ins Gesicht treten können. Irre grinsend kam sie wieder hoch. »Was für ein wunderbarer Tag.«
    Während sie das sagte, bemerkte sie offenbar seinen bedrohlichen Blick, denn sie trat einen Schritt zurück und stieß mit der Kniekehle gegen die offene Spülmaschinentür.
    »Schatz, was ist denn?«
    »Wie kannst du es wagen, hinter meinem Rücken mit Hector zu sprechen?« Die Angst in ihrem Gesicht brachte ihn erst richtig in Fahrt. Er griff ihr ins Haar und zog sie nach vorn. »Wie kannst du es wagen?«
    Sie wehrte sich nicht. »Harry, ich wollte es dir sagen.«
    »Du dämliche Kuh, du redest mit niemandem über unsere Angelegenheiten, ist das klar? Weder mit Hector noch mit deiner Mutter noch mit deinen Schwestern noch mit deinen Freundinnen. Das geht nur uns etwas an und sonst niemanden.« Er sprach mit gedämpfter Stimme. Rocco sollte nicht aufwachen. Er hielt eine dicke Strähne von ihrem Haar um seine Faust gewickelt und zog daran. »Willst du vielleicht, dass diese eingebildete Inderin alles über dich weiß? Willst du das? Meinst du nicht, dass sie sofort zu ihrer schlampigen Freundin läuft und ihr alles erzählt? Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?« Jetzt hätte er sie gern angeschrien und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er zog ihren Kopf zu sich heran, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten.
    Sie war wie versteinert und zitterte wie ein verängstigtes Tier, und als er ihren Blick sah, wurde ihm bewusst, dass er sie enttäuscht hatte. Sie würde seine Gewalttätigkeit nie vergessen. Er könnte sie schlagen, so wie sein Vater es getan hätte, um zu sehen, wie weit er gehen konnte, wie weit sie ihn und wie weit er sich selbst gehenlassen würde.
    Er ließ ihr Haar los, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich, bis zu dem Moment, als endlich die Spannung nachließ und sie aufhörte zu weinen, sich fallen ließ und er spürte, dass sie keine Angst mehr hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte sie immer wieder. »Es tut mir so leid, Harry.«
    »Schon gut.« Er küsste sie auf die Stirn. »Ich spreche mit dem Scheißkerl. Hector soll mich mitnehmen, zu ihm und diesem Miststück. Scheiße! Es wird mich eine unglaubliche Überwindung kosten, aber ich entschuldige mich bei diesen Arschlöchern. Wirklich, Schatz, ich verspreche es. Aber du kommst nicht mit. Rocco und du, ihr werdet nie wieder irgendetwas mit diesen Leuten zu tun haben.«
    Sie nickte beflissen, dankbar für seine Liebe. Wie ein treuer Hund, dachte er.
     
    Als Hector den Wagen in eine schmale Seitenstraße steuerte, fühlte sich Harry plötzlich an seine Kindheit erinnert. Sein Vater war mal mit ihm hier spazieren gewesen. Er musste damals jünger als Rocco gewesen sein – sechs, vielleicht sieben? –, und es musste ein Sonntag gewesen sein, weil sein Vater ein frisch gebügeltes weißes Hemd trug statt des üblichen Overalls. Damals standen keine Bäume dort, die Sonne knallte auf den sengenden Asphalt, und Harry erinnerte sich, fasziniert gewesen zu sein von der flirrenden Hitze, die in undurchsichtigen Wellen aufzusteigen schien. Die Häuser waren damals nicht so hübsch gewesen, sie waren ihm klein und hässlich vorgekommen. Jetzt wo die Ausländer ausgezogen und die Yuppies eingezogen waren, hatte man die Häuser renoviert und verschönert, und in den Straßen stank es nach Geld. Die Stadt hatte Büsche und Platanen gepflanzt, wo es früher nach Hundescheiße, Benzin und Abwasser gerochen hatte. Nicht dass er dort irgendwo hätte einziehen wollen. Die Häuser kosteten ein Vermögen, waren aber immer noch winzige Dreckslöcher. Sein Vater und er waren in eines der kleinen Arbeiterhäuschen hineingegangen. Die Männer hatten bis abends Karten gespielt, und er war mit einem Jungen, der dort

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