Nur eine Ohrfeige (German Edition)
brillant und lebendig, die Motive klar und bestimmt. Sie konnte die Adern in den Blüten sehen. Sie blätterte weiter. Rosie, die Wangen voller, mit dunklen Ringen unter den Augen, wie sie dem kleinen Hugo die Brust gab. Dann nochmal Rosie, noch jünger, mit wasserstoffblondem Haar, braungebrannt im sonnenblumengelben Bikini. Auf einem Foto erkannte sie Aisha. Wow, sie sah fast aus wie ein Teenager. Offenbar war sie immer schon dünn gewesen. Es gab Dutzende von Fotos an einem Strand. Himmel und Wasser waren von einem betörenden Blau, im grellenLicht eines heißen australischen Sommers. Als sie die nächste Seite aufschlug, raubte es ihr den Atem. Sie holte tief Luft. Es war, als würde ihr Herz zerspringen.
Sie erkannte ihn sofort. Die Züge waren dieselben, nur dass er so viel jünger war. Das Grübchen im Kinn, der hochmütige Blick, die weichen, fleischigen Lippen. Sie erschrak, als sie sein makelloses Gesicht sah, die unbehaarte gebräunte Brust und die vollen roten Brustwarzen. Hector sah nicht in die Kamera, er zog die Stirn in Falten, als suche er nach etwas draußen auf dem Wasser. Sie war ganz sicher, dass er aufs Meer hinaussah. Er war wie ein Monument, ein Held aus Stein, aber atemberaubender als jede Skulptur, die sie je gesehen hatte. Das Bild daneben musste am selben Tag entstanden sein. Er trug lange, unförmige Surfshorts, sein kurzgeschorenes schwarzes Haar glänzte nass, sodass die Kopfhaut durchschimmerte, und er hatte die Arme um Aisha gelegt. Sie trug einen weißen Bikini, der ihre Haut noch dunkler erschienen ließ. Aisha grinste breit in die Kamera. Connie kam sofort ein hässlicher Gedanke. Ihre Zähne waren zu groß, sie sah fast lächerlich aus. Connie war wütend auf sich selbst, aber noch stärker als ihre Wut war die bohrende Eifersucht, die sie empfand. Sie wünschte, er wäre tot. Im selben Moment, als sie das dachte, hätte sie vor Scham im Erdboden versinken können. Was war sie nur für ein Miststück. Mein Gott, wie sie sich hasste.
»Was hast du da?«
Sie schlug das Album zu. »Du hast aber lange gepinkelt.«
Es klang wie ein Vorwurf, war aber nicht so gemeint.
»Er musste groß.« Hugo lachte vergnügt.
»Und du hast zugeguckt?«, fragte sie entsetzt.
»Ja«, kicherte er und hielt sich die Nase zu. »Das stank!«
Richie taumelte im Spaß auf ihn zu. »Deswegen will man auf der Toilette auch ungestört sein.«
Hugo wich ihm vor Freude kreischend aus und kniete sich dann auf den Boden, um mit der Eisenbahn zu spielen. Richie ließ sich neben Connie aufs Sofa fallen, schnappte sich das Fotoalbum undblätterte darin. Sie betrachtete ein Bild von einem Clown, das über der Heizung an der Wand hing. Es war von Gary, eine wilde Karikatur aus fett aufgetragenen, lebhaften Ölfarben. Ihr Kunstlehrer hätte es wahrscheinlich als Expressionismus bezeichnet. Der spöttische Blick schien sie zu verhöhnen. Sie fand das Bild abstoßend, starrte aber weiter darauf. Gleichzeitig war ihr bewusst, dass Richie sich immer noch die Fotos ansah. Als er innehielt, wusste sie, dass er bei Hectors Foto angekommen sein musste. Aisha konnte sich glücklich schätzen, dass sie ihn damals schon gekannt hatte und mit ihm zusammen gewesen war. Die Clownsnase war knollig, das tiefe Rot sah aus wie Blut. Das Bild war hässlich und dumm. Warum hängte man sich so etwas auf? So etwas Bescheuertes! Richie hatte die Seite umgeblättert. Ihre Hände zitterten.
Kaum hatten Gary und Rosie das Haus betreten, wusste sie, dass die beiden sich gestritten hatten. Connie und Richie hatten versucht, Hugo ins Bett zu bringen, aber er hatte sich geweigert und lag jetzt im Pyjama auf dem Wohnzimmerboden und sah
Pinocchio
. Er stürmte auf seine Mutter zu. Rosie öffnete ihren BH und gab ihm die Brust. Gary stöhnte. Er ging in die Küche und rief:
»Wollt ihr ein Bier?«
Richie sah zu ihr rüber. Musst du sagen, gab sie ihm wortlos zu verstehen.
»Gern.«
Gary kam mit drei Bieren zurück. Sie fand den Geschmack immer noch unangenehm, war aber fest entschlossen, die Flasche leerzutrinken.
»Wie war’s in der Elternschule?«
Gary antwortete nicht auf Richies Frage. Er ließ seine Frau und sein Kind nicht aus den Augen. Rosie lächelte übers ganze Gesicht, aber es war nur aufgesetzt. Connie wünschte, sie würde das nicht tun.
»Es war für’n Arsch.«
»Gary, es war nicht schlecht. Wir haben eine Menge gelernt.«
»Einen Scheiß haben wir gelernt.«
»Connie und Richie müssen nicht wissen, weswegen wir
Weitere Kostenlose Bücher