Nur eine Ohrfeige (German Edition)
du hättest einen Schuss wie Beckham.« Richie kniete auf dem Boden und baute einen Eisenbahnparcours für Hugo auf, der ihn aufmerksam beobachtete und hin und wieder mit einem verzweifelten Schrei unterbrach: »Nein, nicht da, das soll nicht dahin, das soll hierhin.«
Connie reagierte nicht. Sie hatte es aufgegeben, aber Richies Geduld schien, wenn es um Hugo ging, unerschöpflich zu sein. Es stank nach Gras und Zigaretten. Rosie zündete meistens Räucherstäbchen an, um den Geruch zu überdecken, doch gegen den nasskalten Mief kam das süßliche Sandelholz nicht an. Während die Jungs spielten, schrieb Connie diversen Leuten eine SMS.
Warum stehen Jungs auf Eisenbahnen?
Kurz darauf kam piepend die Ant wort:
Weil sie schwanzgesteuert sind
–
Tina
.
Plötzlich sprang Richie auf. Sowohl Connie als auch Hugo erschraken.
»Ich muss aufs Klo«, erklärte er mit flehendem Blick, als müsse er sie um Erlaubnis bitten.
»Ich will mitkommen.« Schon stand auch Hugo.
Connie und Richie sahen sich irritiert an. Hugo schaute ebenfalls zu Connie, als spürte er, dass sämtliche Entscheidungen bei ihr lagen. Was sollte sie dazu sagen? War das ein Jungsding? Waren kleine Jungs auf Penisse und Pinkeln fixiert? Sie fand das merkwürdig, aber das lag vielleicht daran, dass sie ein Mädchen war und keine Brüder hatte. Sie sah Richie an und zog die Augenbrauen hoch. Mach irgendwas, du Idiot, gab sie ihm zu verstehen.
»Hör zu, ich geh nur kurz pinkeln. Ich bin gleich wieder da.«
»Ich will zugucken.« Der Junge war hartnäckig. Seine letzten Worte tendierten bereits ins Weinerliche. Dass Hugo jetzt anfing zu heulen, war wirklich das Letzte, was sie wollte. Es würde mindestens noch eine Stunde dauern, bis Rosie und Gary nach Hause kamen. Mindestens. Falls Hugo aus irgendeinem Grund die Beherrschung verlor, konnten sie sich auf einige Wutanfälle gefasst machen.
»Das geht aber nicht. Bei manchen Dingen will man einfach ungestört sein.«
Hugo runzelte die Stirn und sah sie trotzig an. Als Richie zur Tür gehen wollte, warf der Junge sich ihm an die Beine. »Ich will mit, ich will mit.« Er konnte jeden Moment anfangen loszubrüllen. Richie hatte die Hand an der Tür und rührte sich nicht vom Fleck. Connie musste lachen. Es sah wirklich komisch aus, wie verunsichert er guckte. Das kleine Aas hatte sie beide komplett um den Finger gewickelt.
»Na gut, wenn du unbedingt willst.«
Einen Moment lang dachte sie, Richie würde auch gleich anfangen zu weinen, aber dann zuckte er nur mit den Schultern und schob Hugo durch die Tür.
Kopfschüttelnd ging sie zum Bücherregal. Im Gegensatz zu ihrem war es derartig mit Büchern vollgestopft, dass ein ganzer Stapel auf den Boden gefallen war. Sie strich über das dunkel lackierte Holz und betrachtete die Staubschicht auf ihrem Finger. Das Regal war tief und reichte fast bis an die Decke, sodass maneinen Stuhl aus der Küche holen musste, um an die oberen Bücher zu kommen. Die Auswahl war interessant. Kunstbände standen neben Biographien von Schriftstellern und Künstlern und fleckigen, mit Eselsohren versehenen Büchern über Philosophie und fernöstliche Religionen. In einem Regalfach standen nur DVDs, in einem anderen alte Videos, vor allem europäische und asiatische Filme. Wahrscheinlich um zu provozieren hatte Gary vier Pornos unter eine dicke Biographie von Bertolt Brecht gelegt. Sie wollte Bertolt Brecht lesen. Ihr Vater war ein großer Fan von ihm gewesen, und einmal hatte er sie in ein seltsames Theaterstück namens
Mutter Courage
geschleppt. Sie erinnerte sich eher an das Erlebnis, Schauspieler auf einer Bühne zu sehen, als an das Stück selbst. Connie zog das Buch heraus. Sie hatte sich Brecht alt und bärtig vorgestellt, aber auf dem Umschlag war er jung und glatt rasiert, wenn auch nicht unbedingt gut aussehend, mit seinem stechenden, scharfen Blick. Würde sie wohl je einen Schriftsteller oder irgendeinen Künstler kennenlernen? Gary war Maler. Ihn kannte sie. Aber jemand Berühmten? Im untersten Regal lagen zwei Fotoalben unter einem Exemplar von Irvine Welshs
Trainspotting
. Sie legte die Biographie zurück und holte eines der Alben heraus. Sie setzte sich zurück aufs Sofa, das ebenfalls nach kaltem Zigarettenrauch stank, und öffnete das Album.
Die Fotos hatte Gary geschossen, und sie waren ausgesprochen gut. Insgeheim dachte sie, dass er viel besser fotografierte, als er malte. Auf den ersten Seiten waren Großaufnahmen von Blumen zu sehen. Die Farben
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