Nur für Schokolade
Bett. Vor ihm auf dem Tisch liegen ein leeres Blatt Papier und ein Kugelschreiber. Was soll er damit? Er legt es beiseite.
Plötzlich folgt lautes Schlüsselklirren und die schwere Zellentür wird krachend geöffnet. Ein sehr streng wirkender, uniformierter Gefängnisbeamter herrscht ihn an: »Leszek Pekalski?« Noch bevor Leszek antworten kann, klärt ihn der Beamte auf, wie der Tagesplan im Gefängnis abzulaufen hat.
Er hört sich alles genau an, denn er erkennt, der Blick des Beamten duldet kein Nachfragen.
»Alles verstanden?« – Leszek nickt nur mit dem Kopf.
Bevor der Beamte die Zelle verläßt, dreht er sich noch einmal zu Leszek um und sagt: »Auf dem Blatt Papier, das auf dem Tisch liegt, möchte ich bis morgen Ihren Lebenslauf stehen sehen. Verstanden!«
Laut krachend schließt sich die Tür hinter dem Wärter, und Leszek steht allein in dem Raum, der für lange Zeit sein Zuhause werden soll. Die Nacht ist angebrochen. Punkt zehn Uhr wird das Licht gelöscht. So liegt Leszek mit weit aufgerissenen Augen im Bett und starrt an die Decke. Nur ein kleiner Lichtstrahl durch das Fenster erhellt den Raum ein wenig. Die Gitterstäbe malen verwinkelte Gestalten an die Decke, graues Schattenspiel zeichnet sich an den Wänden ab.
Er dreht sich zur Seite und versucht zu schlafen, was ihm erst nach Stunden gelingt. Er vergißt, weshalb er hier ist.
Mit einem lauten Schlag öffnet sich am nächsten Morgen eine Klappe an der Zellentür, und Leszek bekommt sein Frühstück. Hungrig nimmt er die zwei Scheiben Brot, die Margarine und eine Blechtasse voll Kaffee entgegen. Zufrieden setzt er sich an den Tisch und genießt offensichtlich die Mahlzeit, wann hatte er auch schon einmal ein Frühstück bekommen? Vielleicht zuletzt in der Sonderschule, bei den Schwestern im Heim, aber in den letzten Jahren bestimmt 50
nicht. Egal wo er später übernachtete, ob in verlassenen Scheunen oder im Sommer im Wald, da war niemand, der ihm ein Frühstück reichte.
Bald darauf ist Hofgang angesagt. Die Gefangenen werden in Zweierreihen zu der großen Wiese geführt, die er von seinem Fenster aus sehen kann. Argwöhnisch betrachten die Gefangenen den Neuankömmling.
»Wohl verkehrt in die Einbahnstraße gefahren?« wird er gefragt. Leszek muß lachen.
Nur für Schokolade
Leszek beobachtet den Tausch von Zeitungen und Zeitschriften und den Handel mit allen möglichen Gegenständen. Er bemerkt sehr schnell, daß der Hofgang der Supermarkt des
Gefängnisses ist. Hier kann man alles haben, und es gibt nur wenige Zahlungsmittel – Tabak, Zigaretten oder Kaffee. Alle möglichen Gegenstände und Waren wechseln ihre Besitzer, meist hinter vorgehaltener Hand. Sein gesamtes Umfeld genau beobachtend, vernimmt er die Stimme eines Wärters: »Leszek Pekalski, herkommen. Besuch.«
Ihm ist nicht klar, was das zu bedeuten hat. Wer sollte ihn schon besuchen? So geht er mit dem Wärter durch die langen Gänge des Gefängnisses. An einer kleinen grauen Tür
angekommen, bleibt der Beamte stehen und öffnet sie. Der Uniformierte deutet auf zwei Personen, die hinter einem Tisch sitzen. Leszek geht zum Tisch und will gerade seine Hand zum Gruß ausstrecken, als ihn der Staatsanwalt anherrscht:
»Hinsetzen, Sie kennen mich sicher noch.« Ihm wird noch einmal die Kommissarin vorgestellt.
Der Staatsanwalt kommt dann schnell zur Sache: »So,
Pekalski, nun erzählen Sie uns mal schön der Reihe nach, was Sie so in der letzten Zeit getrieben haben.«
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»Wollen Sie eine Zigarette?« unterbricht die
Kriminalbeamtin und reicht ihm eine Packung.
»Nein danke, aber eine Tafel Schokolade hätte ich gerne.«
»Schokolade?«
»… die esse ich so gerne und hier bekommt man ja keine.«
Die Kommissarin sieht den Staatsanwalt an. der nickend seine Zustimmung erteilt. So macht sie sich auf den Weg, für den Gefangenen Schokolade zu holen. Als sie das Besprechungs-zimmer wieder betritt, schaut Leszek verdutzt, daß es ihm tatsächlich gelungen ist, eine Tafel zu erhalten. Wieder bedankt er sich artig.
»Ich hoffe. Sie sind jetzt auch so nett und erzählen uns mal, was sie mit Sylwia R. gemacht haben. Denn deshalb sind wir nämlich hier«, so der Staatsanwalt, der Leszek ein Bild des Mädchens vorlegt – ein Bild, das im Leichenschauhaus während der Obduktion angefertigt wurde. »Das Mädchen kenne ich nicht, was ist denn mit ihr passiert, die ist ja voller Blut«, sagt Leszek und umklammert seine Tafel Schokolade, als hätte er Angst, man würde sie
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