Nur Mut, liebe Ruth
kam
sogleich heruntergehetzt, ihr Badezeug in einem hübschen korallenroten Beutel
aus Frottierstoff, dazu die passende Mütze auf dem blonden Kopf.
Die beiden anderen, die ihr
Badezeug eingerollt unter dem Arm trugen, staunten.
„Herrje, wie siehst du denn
aus?“ rief Olga.
„Ich finde es toll“, sagte
Leonore, „darf ich die Kappe mal aufsetzen?“
Ruth stülpte sie ihr rasch auf
die braunen Locken. Ihr war nicht ganz wohl gewesen mit den schicken, aber
auffälligen Sachen, die die Mutter ihr aufgedrängt hatte. Sie war erleichtert,
daß sie wenigstens Leonore gefielen.
„Na, wie sehe ich aus?“ rief
Leonore, vor den beiden anderen hertanzend.
„Steht dir schnafte“, sagte
Ruth.
„Gar nicht übel“, gab auch Olga
zu.
„Ich bin nahe daran, dich zu
beneiden“, sagte Leonore lachend, „manchmal hat es doch unbedingt Vorteile,
wenn die Eltern einen Frisiersalon besitzen!“
Ruth stimmte in ihr Lachen ein.
„Das kann man wohl sagen!“ Auch Olga wollte jetzt die Kappe aufsetzen, aber die
beiden anderen stellten fest, daß sie nicht zu ihren rotblonden Haaren paßte,
woraufhin Olga um ein Haar eingeschnappt gewesen wäre.
„Die Form stünde dir bestimmt“,
sagte Ruth versöhnlich, „wir haben noch grüne und blaue im Geschäft, von denen
müßtest du mal eine aufprobieren!“
Leonore wollte Ruth die Kappe
zurückgeben, aber Ruth stoppte sie mit einer heftigen Handbewegung. Ganz
entgeistert starrte sie auf die Dame, die gerade aus einem Vorgarten herauskam.
„Was ist los?“ rief Leonore.
„Siehst du Gespenster?“
„Still!“ zischte Ruth. „Das ist
sie!“
„Wer um Himmels willen?“ rief
Olga. „Von was sprichst du denn?“
Die Dame wandte sich jetzt zur
Seite, um eine Kreuzung zu überschreiten, und Ruth sah deutlich ihr Profil. Zuerst
hatte sie ihren Augen nicht getraut, aber nun war sie ihrer Sache ganz sicher.
Es war die Dame mit Perücke, die sich damals vor dem Hochhaus nach der alten
Frau Bär erkundigt hatte.
Die Ampel wechselte von Grün zu
Gelb über; es blieb Ruth keine Zeit, den Freundinnen etwas zu erklären. „Wir
müssen ihr nach“, zischte sie ihnen zu und setzte sich selber in Trab, so
schnell es unauffällig ging.
Auf den Fersen der Verdächtigen
erreichte sie den gegenüberliegenden Bürgersteig. Mit einem raschen Blick über
die Schulter stellte sie fest, daß Olga und Leonore zurückgeblieben waren. Was
nun? Wenn sie wartete, würde sie die Dame, die zielsicher ausschritt, bestimmt
aus den Augen verlieren. Aber konnte sie überhaupt etwas erreichen, wenn sie
sie ganz allein verfolgte?
Ruths Herz tat einen Plumps. Am
liebsten wäre sie nicht nur stehengeblieben, sondern hätte sich auf dem Absatz
umgedreht und wäre zurückgeeilt.
Aber dann dachte sie an Katrin
— nicht nur an das viele Geld, das ihrer Großmutter gestohlen war, sondern auch
an das, was sie ihr, als sie sich damals so vor dem großen Schäferhund
gefürchtet hatte, beigebracht hatte.
„Überleg mal, was dir wirklich
passieren könnte“, sagte Ruth halblaut vor sich hin, „hier auf offener Straße,
wo es nur so von anderen Menschen wimmelt! Nichts. Also sei kein Feigling und
häng dich an sie ran!“
Die Perückendame hatte
inzwischen einen Vorsprung von etwa drei Metern gewonnen. Den ließ Ruth ihr und
folgte ihr genau hinter dem Rücken, so daß sie sie, wenn sie mal zur Seite sah,
nicht entdecken konnte.
Olga und Leonore standen
indessen immer noch auf der anderen Straßenseite und wußten nicht, was sie von
der ganzen Geschichte denken und wie sie sich verhalten sollten.
„Sollen wir ihr nach?“ fragte
Olga unsicher.
„Ach wo“, sagte Leonore, „die
spinnt doch komplett!“
„Aber sie hat doch gesagt, wir
sollten...“
„Weil sie eine Meise hat!“
„Na schön, dann gehen wir eben
weiter.“
Sie taten ein paar Schritte.
Dann war es Leonore, die
stehenblieb. „Aber eigentlich ist Ruth sonst gar nicht so“, gab sie zu
bedenken.
„Eben“, sagte Olga.
„Vielleicht sollten wir doch
versuchen, sie einzuholen?“
„Aber die anderen erwarten uns
beim Kiosk!“
Olga und Leonore sahen sich
zweifelnd an. Was war nun wichtiger? Ruth, die offensichtlich übergeschnappt
war, nachzulaufen oder pünktlich beim Treffpunkt zu sein?
Ruth selber dachte jetzt
überhaupt nicht mehr an die Freundinnen. Je länger sie ihr Wild verfolgte, um
so sicherer begann sie sich zu fühlen. Sie hatte ja Zeit genug, das Für und
Wider zu erwägen und sich alle nur möglichen Gefahren
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