Nur Mut, liebe Ruth
sahen sich an
und sagten wie aus einem Munde: „Tun wir das denn nicht immer?“
Sie lachten beide, hakten die
Finger ein und riefen: „Schiller!“ — „Goethe!“ — „Baßgeige!“ — „Flöte!“, damit
sie sich etwas wünschen konnten.
Ruth wünschte sich von ganzem
Herzen, daß sie auch den Fehler, den sie Katrin gegenüber gemacht hatte, wieder
ausgleichen könnte.
Auf der Spur
Es gab ein großes Hallo, als
Ruth mit ihrer neuen Frisur in die Schule kam. Im Gegensatz zu ihrer Familie
waren die Klassenkameradinnen von der Veränderung, die sie an sich vollzogen
hatte, sehr angetan.
Das höchste Lob spendete
Katrin. Sie rief: „Na so etwas! Wer hätte das gedacht! Jetzt siehst du ja
geradezu wie ein Mensch aus!“
Ja, es war sehr angenehm, sich
bewundern zu lassen, und auch gar nicht so schwer, dabei die Gleichgültige zu
spielen und das Aufsehen dadurch noch besser zu genießen. Aber Ruth wußte nur
zu gut, daß sie damit ihrem wirklichen Ziel, ein mutiges Mädchen zu werden, nur
einen ganz kleinwinzigen Schritt näher gekommen war.
Sie wollte Katrin ja gestehen,
was sie verpatzt hatte, und selbst damit war es nicht getan: Sie wollte sich
bereit erklären, mit Katrin zur Kriminalpolizei zu gehen und eine genaue
Beschreibung der mutmaßlichen Täterin abzugeben!
Katrin, Leonore und Silvy, ja,
sogar Olga und einer Menge anderer Mädchen hätte das wahrscheinlich gar nichts
ausgemacht, aber vor Ruth lag das wie ein schier unüberwindlicher Berg. Immer
wieder machte sie einen Ansatz, sich Katrin anzuvertrauen, aber immer wieder
zuckte sie im letzten Moment zurück, und Katrin die ja nicht ahnen konnte, was
die Freundin auf dem Herzen hatte, machte ihr das Geständnis auch nicht gerade
leichter.
So verstrichen die Tage, ohne
daß etwas geschah. Die anderen Mädchen, außer Katrin, dachten längst nicht mehr
an die Betrügerin. Aber Ruth wurde immer mutloser und unzufriedener mit sich
selber.
Auch mit dem Schwimmen klappte
es nicht. Sie hatte sich so fest vorgenommen, in der nächsten Schwimmstunde
keine verrückten Kunststücke mehr zu machen, dafür aber genauso tapfer zu sein,
wie die anderen. Aber zu ihrem persönlichen Pech wurde seit jenem denkwürdigen
Tag, da sie bei ihrem tollkühnen Kopfsprung vom Brett auf den Bauch geklatscht
war, keine Schwimmstunde mehr angesetzt. Fräulein Freysing hielt es für
richtiger, ihre Schäfchen bei dem schönen Frühlingswetter draußen turnen zu
lassen. Noch vor wenigen Wochen wäre Ruth hocherfreut darüber gewesen, aber
jetzt war sie genauso enttäuscht wie die anderen.
Als sie sich wieder einmal
murrend nach einer Turnstunde umzogen, in der Fräulein Freysing sie pausenlos
über die Aschenbahn gejagt hatte, hatte Ruth die Idee. „Wie wäre es, wenn wir
heute nachmittag mal ins Hallenschwimmbad gingen?“ rief sie.
Silvy, die gerade dabei war,
den Pullover über den Kopf zu streifen, blickte belustigt auf sie herunter.
„Das sagst ausgerechnet du!?“
„Und warum nicht?“ rief Ruth
hitzig.
Katrin hüpfte auf einem Bein,
den zweiten Schuh in der Hand, auf die beiden zu. „Weil Schwimmen doch bisher
für dich das letzte war.“
„Na und wenn schon“, sagte
Ruth, „der Mensch kann sich ändern. Oder etwa nicht?“
„Aber ja doch“, mischte sich
Leonore, die einen Streit aufkommen sah, rasch in das Gespräch, „natürlich kann
man, und du hast es uns ja schon bewiesen. Siehe Rattenschwänzchen!“
„Eben drum!“ gestand Ruth.
„Jetzt brauche ich doch keine Angst mehr zu haben, daß meine Frisur kaputtgehen
könnte, und gerade deshalb möchte ich ja so gerne schwimmen!“ Nach einer
kleinen Pause fügte sie mit Überwindung hinzu: „Und außerdem... ich dachte, ich
könnte von euch etwas lernen!“
Dieser schmeichelhafte Appell
an die Großherzigkeit der Freundinnen wirkte sofort.
„Ja, warum sollten wir denn
auch nicht mal ins Hallenbad gehen?“ rief Olga Helwig. „Ich finde das eine
dufte Idee. Wenn wir warten wollen, bis Fräulein Freysing sich entschließt, uns
wieder mal ins Lehrbecken zu lassen, können wir alt und grau werden.“
Damit war der Fall erledigt. Es
blieb nur noch zu beraten, wann, wo und wie man sich treffen wollte, und das
wurde mit größter Zungenfertigkeit in der nächsten großen Pause ausgemacht.
Gegen drei Uhr nachmittags
drückten Olga und Leonore auf den Klingelknopf an der Haustüre, der zu Kleibers
Wohnung über dem Friseursalon führte. Sie brauchten nicht zu warten. Ruth
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