Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
jetzt war die Dämmerung schon weit vorgerückt und hüllte die Ecken und Winkel des Reithofs in tiefe Schatten. Callum spürte die kühle Abendluft wie Samt auf seinem Gesicht, und für einen Moment stieg ihm der Geruch des Flusses in die Nase. Ein Brachvogel flötete in seinem Nachtlager.
Er spürte seine Liebe zum Land und zu diesem Ort wie einen Schmerz in seiner Brust, und zum ersten Mal erkannte er in aller Deutlichkeit die Vergeblichkeit seines Wunsches, dies alles mit Alison zu teilen.
Wie hatte er nur so dumm sein können? So etwas war angeboren, so etwas musste man mit allen Fasern seines Herzens fühlen, und er konnte es ebenso wenig einem anderen Menschen einimpfen, wie er es sich selbst austreiben konnte.
Chrissy war allerdings ein anderer Fall. Er hatte es gleich in ihren Augen gesehen, als Alison mit ihr zum Reitstall gekommen war. Er hatte es daran erkannt, wie sie ganz still dagestanden hatte und alles auf sich hatte wirken lassen, an dem Ausdruck des Entzückens, der sich langsam auf ihrem kleinen runden Gesicht ausgebreitet hatte. Sie verstand die Sprache der Pferde und der anderen Tiere; sie hörte gebannt zu, wenn er ihr die Geschichten erzählte von diesem Land und den Menschen, die es geformt hatten.
So vieles hätte er ihr beibringen können, doch er hatte sich selbst um diese Chance gebracht, da er bei Alison in Ungnade gefallen war.
Neben ihm hob Murphy plötzlich die Nase in den Wind und schnüffelte; sein Fell sträubte sich. Einen Augenblick später roch Callum es auch – diese kaum merkliche Andeutung von kaltem Metall und Salzwasser. Die milde Abendluft und der wolkenlose Himmel konnten ihn nicht täuschen – sie würden Schnee bekommen, und zwar bald.
Schnee im Mai war in den Highlands nicht allzu ungewöhnlich, aber stets gefürchtet wegen des Schadens, den er Pflanzen wie Tieren zufügte. Callum spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief, und das Gefühl hatte nichts mit dem Wetter zu tun. Er hatte plötzlich den dringenden Wunsch, sich in der stickigen Wärme seiner Hütte zu verkriechen.
Er machte noch einen letzten Rundgang durch die Stallungen und sah nach den Pferden, dann machte er die Tür des Häuschens hinter sich zu und streute Asche auf das Feuer im Ofen. Vom Regal über dem Spülbecken nahm er sich einen Becher und eine charakteristische dunkelgrüne Flasche, bevor er es sich in dem abgewetzten Sessel bequem machte. Es war kein milder, honigsüßer Benvulin, sondern Lagavulin von der Insel Islay, mit den herben Aromen von Torffeuern, Teer und Seebrisen. Dies war ein Abend für einen Whisky, der einem so richtig die Seele durchputzte.
Normalerweise gönnte er sich abends nur einen Schluck – er hatte nicht die Absicht, so zu enden wie sein Vater. Aber heute Abend goss er sich gut zwei Fingerbreit in den Becher, starrte ihn an und schenkte dann noch einmal so viel nach. Die Flasche fühlte sich unerwartet leicht an. Er schüttelte sie prüfend, dann drehte er sie kurzerhand um und ließ die letzten paar Tropfen in den Becher rieseln.
Der erste Schluck brannte in seiner Kehle, doch wenig später spürte er schon, wie sich die vertraute, wohlige Wärme von seinem Magen bis in die Finger und Zehen ausbreitete und die Kälte vertrieb. Er trank langsam, aber stetig weiter, entschlossen, sich in jenen angenehmen Dämmerzustand zu versetzen, der sämtliche Gedanken und Empfindungen auslöschte.
Er hatte den Becher schon fast geleert, als er plötzlich merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Eine merkwürdige, kalte Taubheit hatte seinen Mund erfasst, und das Zimmer begann sich so bedenklich zur Seite zu neigen, dass er fast seekrank wurde. Das war nicht das sanfte Zerfließen der Konturen, wie es sich nach dem Genuss von gutem Whisky – auch von zu viel gutem Whisky – einstellte. Sein Herz begann ängstlich zu pochen, doch er hatte das sonderbare Gefühl, dass es gar nicht zu ihm gehörte. Er stützte sich mit beiden Händen auf die Sessellehnen und hievte sich hoch. Das Zimmer drehte sich, und plötzlich kniete er auf dem Boden, ohne zu wissen, wie er dorthin gelangt war.
Hilfe. Der Gedanke formte sich zäh in seinem benebelten Hirn. Er musste Hilfe holen. Aber das Handy – sein einziges Zugeständnis an die moderne Welt – steckte noch in seiner Jackentasche, und die Jacke hing an einem Haken neben der Tür.
Eine feuchte schwarze Nase drückte sich an sein Gesicht. Murphy, der wohl glaubte, es handle sich um irgendein neuartiges Spiel, war neugierig
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