Nur zu deinem Schutz (German Edition)
den Mund auf, um etwas zu erwidern, worauf ich ihm unterm Tisch sanft gegen das Schienbein trat, damit er ihn wieder zumachte. Dann stand ich auf, zog Löffel hinter mir her und wir verließen zu dritt die Cafeteria. Im Flur tauschten wir uns kurz über unsere nächsten Kurse aus – ich hatte Englisch, Löffel eine Freistunde und Ema »Sport, aber ich wollte sowieso blaumachen«. Ein paar Minuten blieben uns noch bis zum endgültigen Ende der Pause. Löffel führte uns in ein Putzmittelkabuff ein Stockwerk tiefer. Dort angekommen, drängten wir uns erneut um den Laptop, Löffel drückte auf Play und sagte: »Schaut euch das an.«
Und da war es in Großaufnahme.
Ashleys Schließfach. Löffel hatte an exakt die richtige Stelle gespult – genau zu dem Moment, in dem es aufgeschlossen wurde. Mit angehaltenem Atem beobachteten wir, wie das Fach ausgeräumt wurde und der gesamte Inhalt in einen Rucksack wanderte.
Mir klappte die Kinnlade herunter.
»Ich wusste es!«, rief Ema. »Ich habe dich gewarnt, oder?«
Es war nicht Ashley, die ihre Sachen aus dem Schließfach nahm. Es war auch nicht Antoine oder Buddy Ray oder sein Gorilla Derrick. Die Person, die das Schließfach mithilfe der entsprechenden Zahlenkombination erst öffnete und dann ausräumte, war niemand anders als Rachel Caldwell.
Im ersten Moment war ich verwirrt, aber innerhalb von Sekunden verwandelte sich meine Verwirrung in Wut.
Und dann wurde ich sauer. Stinksauer. Ich kam mir nicht nur verraten und verkauft vor, sondern wie der allerdämlichste Volltrottel des gesamten Planeten. Verletzt und hintergangen zu werden ist eine Sache, aber derart zum Narren gehalten zu werden, dass man vor sich selbst wie der letzte Idiot dasteht – das macht einen rasend.
Rachel Caldwell hatte mich mit ihren großen blauen Augen angeblinzelt und ich war prompt darauf reingefal-len.
In Zukunft sollte in den Synonymwörterbüchern als Alternative für Idiot gleich als Erstes »Mickey Bolitar« stehen.
In Gedanken ließ ich noch einmal jedes Lächeln, jeden schüchternen Blick und jedes Lachen von Rachel Revue passieren.
Nichts davon war echt gewesen. Wie hatte ich nur so dumm sein können?
Ema konnte sich ein befriedigtes »Ich hab dir gleich gesagt, dass ich ihr nicht über den Weg traue« nicht verkneifen.
Ich erwiderte darauf nichts.
Löffel schob seine Brille höher. »Aber das ändert trotzdem nicht das Geringste daran.«
»Woran?«, fragte Ema.
»Dass Rachel Caldwell eine zum Niederknien schöne, anbetungswürdige, absolut perfekte Traumfrau ist.«
Ema verdrehte die Augen.
Der Gong verkündete das Ende der Pause. Ich machte mich zu meinem Englischkurs bei Mr Lampf auf, Löffel ging in die Bibliothek, wo er seine Freistunde verbringen wollte, und Ema verschwand … wohin auch immer, um ihre Sportstunde zu schwänzen. Ich setzte mich in die hinterste Reihe, schlug mein Heft auf und starrte zur Tafel, ohne irgendetwas von dem mitzubekommen, worüber im Unterricht gesprochen wurde, so wütend war ich immer noch. Nach einer Weile zwang ich mich jedoch dazu, meinen Zorn und angeknacksten Stolz eine Zeit lang zu vergessen und mich einer viel wesentlicheren Frage zuzuwenden: Was hatte Rachel Caldwell mit all dem zu tun?
Ich spielte ungefähr eine Million verschiedene Möglichkeiten durch, aber nichts davon kam mir wahrscheinlich oder auch nur plausibel vor. Da ich mit Logik nicht weiterkam, gab ich mich wieder meiner Wut hin. Und Wut war in dem Moment anscheinend genau das Richtige. Sie erinnerte mich nämlich daran, dass Rachel Caldwell sich exakt in diesem Augenblick in exakt diesem Gebäude befand und dass ich sie zur Rede stellen konnte, um eine Antwort zu bekommen.
Ich stürmte praktisch zeitgleich mit dem Gong aus dem Klassenzimmer. Rachel hatte in der nächsten Stunde Mathe bei Mrs Cannon, das wusste ich, weil … na ja, ich wusste es eben. Mrs Cannons Kurs fand ein paar Zimmer weiter den Flur hinunter statt. Manchmal war ich zufällig vorbeigekommen, hatte Rachel aus dem Augenwinkel gesehen und … Okay, okay, ich geb’s ja zu. Ich bin ganz bewusst daran vorbeigegangen, weil ich hoffte, einen Blick auf sie zu erhaschen.
Ich ging also den Flur entlang, bog rechts ab …
… und da war sie! Ein paar Meter vor mir schlenderte sie seelenruhig auf den Klassenraum zu. Es kam mir vor, als würden ihre Haare wie in einer Shampoo-Werbung zeitlupenartig mit jedem ihrer Schritte mitschwingen. Ich setzte ihr im Zickzackkurs hinterher, um den Horden mir
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