Nuramon
und sie mit dem höhnischen Hinweis entlassen, sie möge doch diese Wunden ebenfalls heilen.
Die Wachen fürchteten sich längst nicht mehr vor ihrer Magie. Hätte sie etwas gegen ihre Folterknechte ausrichten können, hätte sie es längst getan. Außerdem mussten sie nur damit drohen, Helgura etwas anzutun, und schon flehte Nerimee sie um Gnade an. Sobald ihre Peiniger fort waren, schämte sie sich für ihre Schwäche. Wie sehr wünschte sie sich in diesen Stunden, auch nur den Hauch der Macht ihres Vaters zu besitzen! Verzweifelt starrte sie in die zitternde Flamme der Kerze. Sie vermochte zwar die Elemente in einen Zauber zu binden, doch ihr fiel nichts ein, das auch nur annähernd einen Angriff gegen ihre Feinde entfacht hätte.
Helguras Willen hatten sie ebenfalls gebrochen. Als die Kriegerin sich den Wachen das erste Mal in den Weg gestellt hatte, hatten diese ihr dafür fast die Stirn zerschmettert. Also hatte Helgura nach einem anderen Ausweg gesucht. Sogar das Latrinenloch hatte sie ins Auge gefasst, doch durch die Öffnung hätte nicht einmal ein Kind gepasst. Das fließende Wasser, das den Schmutz unter dem Abtritt fortwaschen sollte, bewies, dass sie in einem edlen Haus waren. Und die Steine, aus der die Wände gemauert waren, kannte Nerimee aus den Kellern der Oberstadt.
Als sich die Tür mit einem Ruck öffnete, wich Nerimee in die Ecke bei der Kerze zurück. »Gut so«, sagte einer der Wächter und richtete seine kleine Handarmbrust auf sie – ein weiterer Hinweis darauf, dass sie sich in Jasbor befanden, denn mit diesen kleinen Armbrüsten fing man im steinigen Nordwestteil der Insel Echsen. Zwei weitere Männer kamen herein, schleiften Helgura mit und ließen sie dann einfach fallen. Die Kriegerin schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Während sie stöhnte und das Gesicht zur Seite wandte, zogen sich die Wachen zurück und verriegelten die Tür.
Erst als die Schritte der Männer verklungen waren, wagte sich Nerimee zu ihrer Leidensgenossin, half ihr auf und führte sie in den schwachen Schein der Kerze. Helgura war nur noch in ihr Hemd gehüllt. Der dicke Stoff war am Rücken zerfetzt und offenbarte all die blutigen Wunden. Helgura setzte sich mit einem Schmerzensschrei, legte sich auf die Seite und weinte. Sie – die starke Kriegerin, die sich immer schützend vor Nerimee gestellt hatte – weinte.
Mit Entsetzen betrachtete Nerimee das Blut an Helguras Schenkeln. »Sie haben es also doch gewagt«, flüsterte sie.
»Mehr als das«, erwiderte Helgura leise. »Viel mehr als das.«
Der Zorn brodelte in Nerimee. Einem mächtigen Gewitter gleich wollte sie über ihre Peiniger kommen und sie zerfetzen, zerschmettern, zerreißen. »Sie werden dafür bezahlen, Gura!«, hauchte sie.
»Wie, Nerimee?«, flüsterte Helgura. »Wie?«
»Meine Familie wird über sie kommen wie eine Sturmflut über das Land«, sagte Nerimee. »Glaub mir.« Doch Helguras Schweigen ließ sie mit jedem Augenblick mehr an ihren Worten zweifeln.
»Ich nehme dir die Schmerzen«, sagte Nerimee schließlich. »Du wirst nichts mehr fühlen.« Sie strich der Kriegerin sanft durch das blutverklebte Haar und schämte sich dafür, dass sie Helgura diesen Zauber nicht geschenkt hatte, ehe die Wachen sie geholt hatten. Sie war so müde gewesen, dass sie eingeschlafen war und die Ankunft der Peiniger nicht bemerkt hatte.
Kaum flossen Nerimees Zauberkräfte, atmete Helgura erleichtert aus. »Danke«, hauchte sie immer wieder. Und nachdem der Betäubungszauber nun wirkte, legte Nerimee ihr die Hand auf den Rücken und begann mit der Heilung. Ihre Kraft strömte zwar zuerst in die Hiebwunden, doch an dem kräftigen Sog des Heilzaubers spürte sie, dass die Wunden in Helguras Unterleib gewaltig waren.
Als sich Nerimee nach vollendetem Zauber erschöpft gegen die kalte Wand sinken ließ, richtete die Kriegerin sich langsam auf. »Ich spüre wirklich kaum mehr etwas«, sagte sie, und über ihr beflecktes Gesicht huschte ein kleines Lächeln, das Nerimee die Tränen in die Augen trieb. »Beim nächsten Mal, wenn sie dich holen, werde ich dafür sorgen, dass der Zauber wirkt und du keine Schmerzen spürst«, flüsterte sie.
Helguras Augen glänzten. »Wir müssen nur darauf achten, dass wir auf ihre Angriffe reagieren«, sagte sie. »Sie wollen fühlen, dass sie uns wehtun. Wenn sie nicht kriegen, was sie wollen, werden sie uns am Ende noch totschlagen.«
Nerimee lächelte gequält. »Tu, was du kannst. Ich werde schon schreien. Denn
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