Nuramon
Liebesnacht in der Zuflucht war – darauf hatten sie sich geeinigt – ein Augenblick der Schwäche gewesen. Natürlich war das ihrerseits eine Lüge gewesen. Und seither fragte sie sich, ob auch er gelogen hatte. Sie fürchtete sich davor, ihm die Wahrheit zu entlocken.
Gaerun hatte eine Absprache mit Rawila getroffen. Sie würden Loramu beistehen; ganz gleich, was kam. Sie hatten Nuramon immer geschätzt, doch in der Kammer hatte er sie allein gelassen – und nun war Loramu für ihr Leben gezeichnet, Narlo und Wirlan waren tot, und der Fehler an dem verriegelten Lichttor hatte sie mit einem Schritt mindestens Monate, vielleicht sogar Jahre in die Zukunft geführt. Nun starrte Nuramon in die Ferne und sagte, er hätte den Siegelblick angewendet, jedoch nichts gesehen. Und damit wuchsen Gaeruns und Rawilas Zweifel.
Bjoremul schämte sich. Er war der Schwächste in der Gemeinschaft. Er ermüdete noch vor Loramu, und er war froh, wenn irgendwer von einer Rast sprach. Besonders schämte er sich vor Nylma. Als sie ins Tal kamen und zum Baden Rast an einer warmen Heilquelle machten, wusste er nicht, warum sie seine Nähe suchte. In der Zuflucht hatten sie einander geliebt, und es war beinahe ein Wunder, dass sie nichts gemerkt hatte, als er sie um Entschuldigung gebeten und so getan hatte, als vermisste er einfach die Fleischeslust. Und sie hatte ihn beruhigt und das zwergische Schlafgemach mit der Liebesgrotte in Teredyr verglichen, in der keine Fragen gestellt wurden. Als sie sich geeinigt hatten, dass es nichts weiter gewesen war als die Befriedigung von Bedürfnissen, hatte er zugestimmt, die Wärme im Gesicht gespürt und gehofft, dass der Bart die Röte verbarg. Nun aber fühlte er sich wie ein Jüngling, der seiner ersten Liebe begegnete. Er war jenseits der sechzig, sie ging auf die fünfzig zu, und doch verblassten all die Schönheiten, mit denen er sich die letzten Jahre umgeben hatte, neben ihr. Als sie nahe des Al bensterns am Fuße des Gebirges lagerten, gab er zu, dass ihm die Liebesnacht mehr bedeutete, als er behauptet hatte. Er gestand – sie gestand –, sie liebten sich. Und im Lager gaben sie offen zu erkennen, was sie fühlten.
Heimwege
Sie waren endlich wieder auf den Albenpfaden, und Nuramon führte die Gefährten rasch nach Süden. Binnen Tagen würden sie in Jasbor sein, und bislang hatte er weiterhin nur kleine Veränderungen ausmachen können, die ihn hoffen ließen, es könnten tatsächlich nur Monate vergangen sein. Als sie jedoch am Morgen auf dem langen Albenpfad von Angnos gen Süden schritten und das nächste Lichtplateau endlich in Sicht kam, hielt Nuramon inne. Auf einem Pfad, der sich neben ihnen annäherte und gerade noch hinter den finsteren Nebelschwaden zu erkennen war, bewegte sich etwas.
Da waren Menschen in Metallrüstungen und hellen Mänteln. Als Nuramon inmitten der Krieger einen Mann entdeckte, der eine Maske trug, und erkannte, dass es die Maske des Guillaume war, wurde ihm mit einem Schlag klar: Die Tjuredanbeter waren auf den Albenpfaden.
Eine ganze Schar betrat die Lichtinsel, und ehe Nuramon und die Gefährten sich zurückziehen konnten, wies einer der Krieger ihnen entgegen und stieß einen Ruf aus.
Die Feinde sammelten sich, und der Mann mit der Guillaume-Maske strebte in die Mitte der Lichtinsel zum Albenstern. Dort schwenkte er einen hellen Holzstab und öffnete einen Trichter aus Licht – ein Tor, geschaffen von der Magie der Tjuredanbeter. Kaum war die Lichtpforte da, verschwand der Anführer darin, die Krieger folgten ihm einer nach dem anderen.
»Ist das der Stab des Rajeemil?«, fragte Daoramu. Nuramon hatte ihr von dem Torstab erzählt, den Dareen nun hütete.
»Nein«, sagte Nuramon. Dareen hatte ihnen beim Abschied mit Rajeemils Stab ein Tor auf die Albenpfade geöffnet. Es war ein langer, grauer Stab gewesen, und die Pforte, die sich erhoben hatte, war kugelförmig gewesen. »Sie müssen ihn selbst geschaffen haben.«
»Was nun?«, fragte Nylma. »Sollen wir versuchen vorbeizu schlüpfen?«
»Keinesfalls!«, sagte Nuramon. »Wenn sie einen Weg nach Arlamyr gefunden haben, sind wir verloren. Und wir wollen sie gewiss nicht dorthin führen.«
»Wir können hier nicht ausharren«, sagte Bjoremul und starrte auf das Tor, das noch immer offen war.
»Wir ziehen uns zurück«, erklärte Nuramon und führte die Gefährten zum Albenstern, der zum alten Orakelrätsel nach Angnos hinausführte. Während er den Torzauber sprach, sagte er seinen
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