Nuramon
die Krone. Auch dafür verachtete er sie nicht. Sie reizte ihn mit einem Geständnis nach dem anderen, doch er verdammte sie bei keinem.
Sie und Nuramon teilten ihre Schuld, ihr Versagen und ihre Triumphe. Dennoch sah Daoramu Nuramon nicht in einem neuen Licht. Ganz gleich, ob er als Bote der Elfenkönigin einst einigen Kriegern mit süßen Worten den Weg in den Tod schmackhaft gemacht hatte, Freunde unter seinen heilenden Händen gestorben waren oder er den beseelten Baum der Ceren und seine Sippe vor den Drachen in Sicherheit gebracht hatte: Er blieb immer Nuramon.
Die erste Liebesnacht war so beglückend gewesen, weil Daoramu nicht nur die Freuden ihrer Vereinigung gespürt hatte, sondern auch die Magie. Ein Tor in eine neue Welt hatte sich geöffnet. Deswegen hatte sie gefürchtet, sie würde sich mit der Zeit an diese Empfindungen gewöhnen und sie würden mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Als die Magie eines Nachts ausblieb und sie dennoch in Nuramons Armen Erfüllung fand, war sie nicht enttäuscht. Als die Magie sich in der folgenden Nacht erneut entfesselte, war sie wieder überwältigt. Die Angst schmolz wie Schnee am Feuer dahin.
Die Empfindungen des Augenblicks auszukosten war ihr Schlüssel zu Nuramons Sicht auf die Welt. Nun erst begriff sie, warum seine Sinne nicht abstumpften und er in all den Jahrhunderten des Lebens nicht müde wurde. Nichts schien für ihn an Wert zu verlieren, nur weil es zum zweiten, zum zehnten oder zum tausendsten Mal geschah. So war sie sich sicher, dass er ihres Wesens nicht überdrüssig werden würde.
Eine andere Angst entsprang ihren Selbstzweifeln. Sie hatte an manchen Tagen den Eindruck, Nuramon nicht verdient zu haben. Manchmal erschien er ihr wie ein Riese, dem sie nie würde gleichkommen können. Doch mit jedem Abend, an dem er ihr mit großen Augen lauschte und ihrer Erzählungen nicht müde wurde, wuchs in ihr die Vermutung, dass er ähnlich empfand wie sie; und dass auch sie für ihn mit all ihrem Wissen ein unentdecktes Land war, das zu erkunden ihm Freude machte und ihn manches Mal gleichfalls ängstigen mochte. Denn vieles, das sie bewegte und das ihr Leben bis zum heutigen Tag geprägt hatte, war ihm vollkommen fremd. Und mit dieser Erkenntnis schwand wieder eine Angst dahin.
Am Morgen des 19. Varru, einen Tag nach dem Anfang des Winters, verließ Daoramu mit Nuramon, Nylma und Yargir Teredyr, um nach der Stadt Alvarudor zu suchen. Sie zogen zu Fuß aus, denn mit Pferden wollten sie sich im Winter nicht belasten. Nuramon öffnete ihnen ein Lichttor an der Quelle im Wald, an der er gelebt hatte. Als sie auf den Albenpfaden waren, schaute Daoramu auf den Lichtweg, auf dem sie vor Wochen aus Doranyr, der Grafschaft ihres Vaters, gekommen waren. Überrascht bemerkte sie, dass ihre Gefährten genau auf diesen Pfad zuhielten.
»Deine Eltern«, sagte Nuramon auf ihren fragenden Blick hin. »Ich weiß, dass du oft an sie denkst. Lass uns nach Westen gehen, ein wenig abseits von Doranyr, in eine der südlicheren Grafschaften vielleicht. Und da fragen wir, wie es um deine Eltern steht.«
»Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass es mich nicht kümmert«, entgegnete sie. »Aber ich möchte nicht zu schnell zu ihnen zurückkehren. Ich fürchte schwach zu werden, wenn ich erst einmal wieder die Luft von Yannadyr atme.«
Yargir grinste. »Wir verfügen über den geeigneten Zauber, dich vor diesem Bann zu schützen«, sagte er und schaute zu seiner Frau.
»Genau«, sagte Nylma und drohte ihr mit dem Zeigefinger. »Ich werde dir schon sagen, wenn du dich wie deines Vaters gehorsame Tochter verhältst.«
»Und dann«, sagte Nuramon und zwinkerte ihr zu, »suchen wir den Menschenstamm mit Elfenblut.«
Daoramu lachte und schloss einen ihrer Gefährten nach dem anderen in die Arme.
Alvarudor
Seit sie in Yannadyr erfahren hatten, dass Daoramus Vater tatsächlich Herzog von Ralobyl geworden war, wirkte Daoramu ausgeglichener, und dieses Glück strahlte auch auf Nuramon ab. Derart gestärkt machten er und seine Gefährten sich auf die Suche nach Alvarudor. Die Albenpfade führten sie in den Osten des arlamyrischen Kontinents, wo der Winter unerbittlich herrschte.
Nuramon schützte die Gefährten mit seinem Wärmezauber und zeigte ihnen, wie seine natürliche Magie ihn vor dem Versinken im Schnee bewahrte. Nuramon genoss es, die Tiefe des Schnees durch seine Stiefel hindurch zu spüren. Der hauchfein fließende Zauber drang aus seinen Füßen wie die Wurzeln
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