Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
Gesichtshälfte bestrahlte.
»Ich meine … wegen Erijel.« Die Hitze der Flammen wallte über sie hinweg. Der stete Trommelklang vibrierte in ihrem Körper. Die Stimmen drangen in einem sanften Rauschen heran.
»Ich denke, es geht schon«, murmelte Kaveh. Seine Augen schimmerten. Er biss die Zähne zusammen. »Weißt du, er war für mich wie ein Bruder.
Nein, mehr noch. Ich habe mich mit Kejael nie so gut verstanden wie mit ihm. Erijel war so ernst und vernünftig wie Kejael, das stimmt, aber in seinem Herzen … Er war so mutig. Er war mutiger als ich es je sein werde.«
Nill wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht, was. Vorsichtig rückte sie ein Stück näher, öffnete leicht den Mund und wartete darauf, dass ihr etwas
einfiel, um Kaveh aufzumuntern – aber es kam nichts. Sie blieb stumm und musste selbst an alles zu-rückdenken: an Erijel, die Marschen, den Hunger …
Der Gesang näherte sich ihnen.
»Das Leben kommt nicht,
wie man glaubt, e in Herz ist leicht verschenkt.
Noch lieb’ ich den, der meins geraubt.
Liebe ist nicht, wie man denkt.«
… den Hunger, die Marschen … Scapa. Ja, Scapa!
Nill schloss die Augen. Scapa, tausendmal! Sie konnte nicht mehr, jetzt, in diesem Augenblick, konnte sie ihre Gedanken nicht mehr zurückdrängen.
Die Verzweiflung, die Liebe und das unbeschreibliche Gefühl, dem Menschen nichts zu bedeuten, der einem selbst alles bedeutet, brachen in ihr empor, machten ihr den Kopf ganz schwer. Sie wollte nicht mehr sie selbst sein …
»Die Liebe ist kein Siegeszug,
berührt das Herz und stiehlt es dann.
Sie ist zuviel und nie genug,
sie kommt als Segen und als Bann.«
Kaveh drückte sachte ihre Hand. Nill blickte zu Boden, damit er nicht die Tränen sah, die ihr in die Augen traten.
»Was bedeutet dieser Vers?«, fragte sie Kaveh leise. Die dritte Strophe kannte sie noch nicht. Kaveh
übersetzte flüsternd. Sie spürte seinen Atem auf der Stirn, vielleicht war es aber auch nur die Wärme des Feuers.
»Was ein jedes Herz verbindet,
was meine Mutter Liebe nannt’,
was jede Seele einmal findet,
liegt diese Nacht in deiner Hand …«
»Hübsch«, murmelte Nill. »Ein hübsches Lied, wirklich.« Sie merkte kaum, was sie sagte, hörte auch Kaveh nur gedämpft.
Scapa … Er war irgendwo in den Marschen, am anderen Ende der Welt bei dem Mädchen. Er hatte Nill verraten. Er hatte sich selbst zu ihrem schlimmsten Feind gemacht. Und Nill konnte ihn nicht einmal dafür hassen. Der Einzige, den sie dafür hassen konnte, war sie selbst.
»Nill.«
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie drehte sich um und wischte sich mit zittrigen Händen über die Augen. Kejael stand vor ihnen.
»Alles klar bei euch?«
»Oh – ja, es ist nur der Rauch, das Feuer«, murmelte Nill und blinzelte.
Kejael wandte sich mit einem breiten Grinsen an Kaveh. »Ich hab ja einiges über dich gehört, Brüder-chen, aber dass du so ein Trampeltänzer bist.«
Kavehs Ohren glühten. »Arah viet! Halt den Mund!«
»Wenn du schon übersetzt, dann wenigstens richtig.« Grinsend erklärte er Nill: »Ich wünschte, er würde bloß das sagen, was du verstehst. In Wirklichkeit wirft er mir ganz furchtbare Worte an den Kopf.«
»Kejael, du STÖRST!«, blaffte Kaveh. »Bitte.
Verzieh dich.«
»Ihr sollt mitkommen«, fuhr Kejael unbeirrt fort.
»Marhùt el branco dèr mior Nâddes, er hat anscheinend was Wichtiges zu sagen.«
Eine Weile arbeitete es in Kavehs Gesicht. Dann war die Wut aus ihm gewichen und er wirkte nur noch grimmig. »Gut, wir kommen gleich.«
»Was ist – wer will mit uns sprechen?«, fragte Nill.
»Mein Vater. Wir sollten mal nachsehen.« Kaveh sah sie einen Augenblick an, dann wandte er sich um und folgte seinem Bruder. Sie verließen das Feuer und schritten zum Baumhaus des Königs. Lachende und flüsternde Elfen glitten an ihnen vorüber, nur halb sichtbar in der blauen Dunkelheit. Je weiter sie sich von den Lagerfeuern entfernten, desto lauter wurde das Zirpen der Grillen. Es kam von überall heran wie rasselnder Atem. Ein warmer Wind strich aus den Wäldern ins Tal hinab.
Dort, wo sich der mächtige Stamm hinauf zum Baumhaus des Königs schraubte, waren Laternen an den Zweigen aufgehängt, die gelbe Lichtkreise in die Nacht malten. Falter und Insekten schwirrten darum, man hörte, wie die Flügel gegen das Glas schlugen.
Schon bevor sie den großen Raum im Baum erreichten, kam ihnen das Licht des Herdfeuers entgegen. Es tauchte das Bauminnere in schimmerndes
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