Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
zurück.
Aber er strahlte. »Mal sehen – das hast du schon einmal gesagt!«
Und das hatte sie wirklich: an einem Morgen im Fuchsbau, als alle Hoffnung des Prinzen auf ihr ge-ruht hatte. So wie jetzt.
Die Bäume flüstern
Nieselwogen fegten mit dem Wind über das weite Land. Die Marschen schienen in Feuchtigkeit und Schlamm zu versinken und glühend starrten die Lichter der Minen zum Turm herauf. Als Scapa am Fenster stand und die Hände auf das Glas legte, strich Arane um ihn herum. Klirrend schlugen die dünnen, lang gezogenen Regentropfen gegen Scapas
Handflächen, aber er spürte sie nicht – natürlich.
Zwischen ihm und der Welt draußen war schließlich die Glasfront.
»Immerzu beobachtest du die Minen«, sagte Arane hinter ihm. Ihre Finger spielten mit dem goldenen Saum seines Umhangs. Mit einem Seufzen stützte sie das Kinn auf seine Schulter und sah ebenfalls aus dem Fenster.
»Was für ein grässliches Wetter. Ich hasse es! Der Himmel ist immer so grau hier. Weißt du noch, in Kesselstadt die Sommer? Kannst du dich erinnern, wie der Himmel aussah? Manchmal konnte man ihn hinter den Hausdächern sehen, und er war ganz blau, so blau wie das Meer an schönen Tagen.«
»Ich habe das Meer nie gesehen, Arane.« Er spür-te, wie ihr Kinn von seiner Schulter verschwand. Sie verschränkte die Arme und lehnte sich gegen das Fenster.
»Verfluchter Regen, und diese Kälte«, murmelte sie. »Bald verlassen wir die Marschen, und dann gehen wir irgendwohin, wo es warm ist und die Sonne scheint, ja?«
»Wohin willst du denn gehen?«
Ein zartes Lächeln entfaltete sich auf ihrem Gesicht. Im grauen Morgenlicht, das durch das Fenster strahlte, schien sie sehr bleich und geisterhaft. »Ich möchte dir etwas zeigen, Scapa.«
Er drehte sich um und beobachtete, wie Arane in die Mitte des Zimmers schritt und ihre Dienerinnen rief. In knappem Ton befahl sie ihnen, welche Klei-
der sie ihr holen sollten. Einen Moment später flochten sie ihr das Haar zu einem kunstvollen Kranz und hüllten Arane, die ihre Untergewänder trug, in ein schlichtes dunkelrotes Kleid mit goldbestickten Bor-ten. Über ihre Schultern legten sie einen dicken, schwarzen Samtumhang. Zuletzt zog sich Arane ein Paar rotgefärbter Lederhandschuhe an. Sie sah Scapa mit einem Lächeln an. »Kommst du?«
Die Minen zogen an ihnen vorüber. Scapa konnte einzelne Gestalten erkennen, die mit Lasten ein- und ausliefen, er hörte Hammerschläge und laute Rufe.
Eine Gruppe Arbeiter kam ihnen entgegen. Leere Gesichter blickten zu ihm auf, dann ließ Scapa den Vorhang zufallen und lehnte sich auf der Sitzbank zurück.
Die Kutsche ratterte und rumpelte über den Weg.
Arane saß ihm gegenüber. Ihr Lächeln war unbestimmt. Scapa sah sie gedankenverloren an. Er musste an das Mädchen mit den kurzen Locken zurückdenken. Daran, wie er einst an einen Stand herange-schlichen war, angelockt durch den ungewöhnlichen Lärm eines Moorelfenhändlers, der einen Dieb gefangen hatte. Während er den Goldschmuck in sein Hemd gesammelt hatte, war der Dieb vom Moorelf ins Gesicht geschlagen worden. Mit einem Keuchen war er zu Boden gefallen und da hatte Scapa zum ersten Mal Aranes Augen gesehen, klar und glühend.
In seinen Gedanken reiste Scapa zurück nach Kesselstadt, es war ein heißer Sommertag, und die Stadt
brütete in ihren eigenen wogendheißen Ausdünstungen, dem schummrig machenden Gestank der Färbemittel, dem säuerlich-süßen Biergeruch, der die Schänkenviertel umwaberte, dem schmorenden Fett der Garküchen. Wohin Scapa auch ging, das Mädchen mit den Locken begleitete ihn. Sie lief barfuß neben ihm durch die Gassen, ihre Haut war sonnengebräunt. Wenn sie lächelte, glänzten ihre schiefen Zähne im Tageslicht.
»Wohin fahren wir?«, fragte Scapa gedankenverloren.
»Wir fahren der Zukunft entgegen.« Ihre Stimme war ein Hauchen.
»Und was bringt diese Zukunft wohl?«
Arane lehnte den Kopf gegen die gepolsterte Wand der Kutsche und lächelte. »Das mochte ich immer so an dir, Scapa. Du hast immer die richtigen Sachen gesagt und die richtigen Fragen gestellt. Die Zukunft bringt die Zeit der Menschen. Eine neue Ära bricht an, die Welt verändert sich. Nicht durch unser Wirken – durch das Wirken der Natur wird die Welt den Menschen in die Hände fallen.«
Fahles Licht drang durch die Ritzen der Fenstervorhänge, doch Aranes Gesicht blieb in Schatten getaucht.
»Die Welt soll nur den Menschen gehören?«, wiederholte er leise. »Wenn sie …
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