Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
ihre Hände. Nur die blassen Augen starrten Nill weiterhin an wie gefrorene Tümpel.
»Nimm das Schwert weg!« Der Fürst machte einen Schritt auf Nill zu. »Nimm sofort das Schwert weg, Mädchen.«
Nill wandte den Blick nicht von Agwin. Doch dann trat sie zurück und ließ ihr Schwert langsam sinken. Die Augen des Fürsten sprühten Funken.
»Wir wissen, was hier in den Dunklen Wäldern vor sich geht!«, fauchte er. »Die Elfen haben die Tiere verhext, nicht wahr? Die Wildrudel sammeln sich in allen Tälern und Hainen. Täglich werden es mehr Tiere, sie kommen von überall zusammen. Und die Wildschweine … ich selbst habe bei der letzten Jagd mindestens dreihundert gesehen, die sich bei den Fichten zusammenscharten!«
Nill sah ihn an ohne zu blinzeln. Ihr Gesicht glühte noch immer, doch sie spürte keinen Schmerz mehr.
Nur Wut, betäubende Wut … »Sie sammeln sich, um die Dunklen Wälder zu verteidigen. Und mit ihnen auch die Hykaden!«
»Ha!« Die Nasenflügel des Fürsten blähten sich.
»Hirsche und Wildschweine kämpfen also um die Dunklen Wälder? Tiere ?«
»Ja, Tiere! Denn offenbar sehen sie klarer als so mancher Mensch.«
Ein unheilvolles Flackern trat in den Blick des Fürsten. »Hör gut zu, missratene Elfenbrut. Unser Dorf und auch kein anderes wird sich mit Wildschweinen und Rehen und Elfen und wer weiß was für Getier verbünden. Du hast uns schon genug Ärger gemacht …«
Als sich der Fürst mit langsamen Schritten näherte, hob Nill ihr Schwert. Nun war sie zu allem bereit.
Keiner rührt mich hier je wieder an. Und mehr dachte – mehr wusste – sie nicht.
»Halt!«
Die versammelten Menschen und auch Nill drehten sich verwundert um. Aus der Menge löste sich eine krumme Gestalt mit Gehstock und blau bemalter Glatze. Celdwyn streckte die Hand aus und kam eilig auf sie zu. »Halt! Halt, mein Fürst. Fass dieses Mädchen nicht an.«
Hinter Nill blieb sie stehen, und Nill wich zur Seite, sodass sie nicht zwischen dem Fürst und der Seherin stand, sondern beide im Auge behalten konnte.
Celdwyn senkte die Hand und blickte Nill mit einem friedlichen Lächeln an. Ein verirrtes Heulen umstrich die Häuser und Strohhütten.
»Dieses Mädchen ist vom Elfenvolk verflucht, und wer sie berührt, dem wird ein schreckliches Unheil zustoßen«, sagte Celdwyn gelassen.
Entsetzte Laute erklangen, und die Leute traten vor Agwin zurück, die wie erstarrt dastand.
»Mein Beileid, Agwin«, sagte Celdwyn in ihre Richtung, doch sie klang dabei so ungerührt wie immer.
Lähmende Stille legte sich über das Dorf. Noch einmal sah Nill den Fürsten an, der wie festgefroren stehen geblieben war, sie aber immer noch anstarrte.
»Hier gibt es keine Hoffnung«, sagte Nill hart.
Dann drehte sie sich um und ging, das Schwert in der Hand. Eine Stimme folgte ihr.
»Jaah … nun flüstern die Bäume!«
Aber Nill drehte sich nicht noch einmal zur Seherin um.
Die Menschen wichen vor ihr zurück. Diesmal sagte niemand etwas, als sie vorbeischritt. Keiner trat ihr in den Weg. Mit stummen Blicken sah man ihr nach, bis die rauschenden Bäume des Waldes sie verschluckt hatten.
Abschied und Aufbruch
Wie benommen lief Nill durch den Wald. Mit jedem Herzschlag schien die Dunkelheit rings um sie tiefer
zu werden. Der Wind heulte in den Baumkronen und warf Nill kleine Zweige und welkes Laub entgegen.
Es begann heftiger zu schneien. Die Flocken rieselten aus dem matten Schwarz, das den Himmel überzogen hatte, und tanzten durch die Wälder. Allmählich bildeten sich hier und da zarte weiße Überzüge auf Wurzeln und Moos.
»Nijura!«, hallte es durch den Wald.
Nill drehte sich um. Nichts. Nur schummriges Dämmerlicht und wogender Schnee. Als sie sich wieder umdrehte, stand kaum ein paar Meter entfernt Celdwyn vor ihr.
Nill legte beide Hände um den Schwertgriff. »Was willst du von mir?«, rief sie.
Die Seherin lächelte. »Du bist aufgeblüht wie ein unscheinbares kleines Kraut, das plötzlich eine Blume hervorbringt.«
Nill starrte die krumme Gestalt an. Dachte die Alte allen Ernstes, das sei ein Kompliment?
»Du bist verrückt!«, fauchte Nill. »Lass mich endlich in Ruhe!« Als sie weiterstapfen wollte, bewegte sich der graue Schemen flink mit ihr.
»Oh, ich werde doch nicht die hübsche Pflanze in Ruhe lassen, die ich so lange hegte und pflegte.«
Nill spürte, wie ihr kalte Schauder über den Rü-
cken liefen. Celdwyn bewegte sich, aber Nill erkannte nicht genau, was sie tat. Wie es aussah, fingerte
Weitere Kostenlose Bücher