Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
sie irgendwo in ihren Kleidertaschen herum. Es gab ein Zischen und plötzlich glomm eine runde Laternen-kugel auf. Verwundert starrte Nill auf das gelbe
Licht. Wo hatte Celdwyn plötzlich das Feuer her?
War in der Laterne überhaupt Feuer? Nill riss ihren Blick von der leuchtenden Kugel los und sah in das runzlige Gesicht der Seherin.
»Sei mir nicht böse, Nijura, bitte«, sagte sie in einem wesentlich vernünftigeren Ton. »Aber verstehe
– es musste so sein.«
»Was musste so sein? Was weißt du eigentlich?
Wer bist du?«
»Ich bin eine Vertraute von König Lorgios.«
Größer hätten Nills Augen nicht werden können.
Von ihm wusste die Seherin also alles – Nills neuen Namen, zum Beispiel.
»Dann … stehst du auf der Seite der Elfen?«
Celdwyn schlug die Augen nieder und machte eine Geste, halb Kopfnicken, halb Schulterzucken, was entweder »Ja« heißen mochte oder »egal«.
»Wieso«, fragte Nill, die von der ersten Möglichkeit ausging, »hast du mir dann nicht im Hykadendorf vorhin geholfen? Du hättest die Menschen überzeugen können!« Wieder stieg Zorn in ihr auf.
»Es ist nicht das Schicksal der Menschen, in diesem Krieg mitzuwirken«, sagte Celdwyn schlicht.
Nill atmete schwer. »Das Weiße Kind ist ein Mensch!«
Celdwyn verzog das Gesicht wieder zu jenem versonnenen Lächeln, bei dem Nill nie wusste, was es wirklich zu bedeuten hatte. »Ja, da hast du Recht.
Die Königin ist ein Mädchen menschlichen Geblüts.
Aber obwohl sie diesen Krieg beginnen wird, ist es
trotz allem ein Krieg der Elfen. Es ist ihr Krieg um das Fortbestehen ihres Volkes. Ganz egal, wer mitkämpft. Verstehst du das?«
Nill nickte knapp.
»Tut mir Leid, Nijura«, murmelte Celdwyn und es klang aufrichtig. »Mehr kann ich dir auch nicht sagen.
Doch ich will nicht, dass du auf alle Menschen böse bist. Es ist dumm, ein ganzes Volk zu verabscheuen, weil man nie ein ganzes Volk kennen lernen kann, weißt du? Es sind immer nur die Einzelnen.«
»Und die Einzelnen haben mir gereicht! Alle Menschen sind verdorben. Und du verlangst ernsthaft, dass ich sie trotzdem einfach so mag?«
Celdwyn sah sie eindringlich an. »Ja.«
Nill hob verächtlich das Gesicht. Ein Name pochte in ihrem Hinterkopf, ein verzweifelter Ausruf; doch sie zwang alle Gedanken an ihn zurück. Ja, selbst er
– vor allem er – war schlecht gewesen.
»Das stimmt doch nicht, dass du die Menschen hasst«, flüsterte Celdwyn. »Sie haben dir sehr weh-getan. Und dafür willst du sie hassen. Der Hass ist oft eine warme Zuflucht. Aber in Wirklichkeit haben die Menschen dich traurig und unglücklich gemacht.
Oder nicht?«
Einen Moment war Nill unfähig, etwas zu sagen.
Warm stieg das Bedürfnis in ihr auf, zu weinen, jetzt und hier, in der Dunkelheit. Aber sie trat einen Schritt zurück. »Ja – und dafür hasse ich die Menschen, sie sind ignorant und fürchten alles, was anders ist und – und …«
»Hörst du überhaupt, was du da sagst?«, fragte Celdwyn und ihre Stimme war plötzlich schneidend.
Jede Zärtlichkeit war aus ihr gewichen. »Sprichst du mit deiner eigenen Zunge, Nijura, oder hat ein böser Geist Besitz von dir ergriffen?« Die Alte kam einen Schritt näher und legte den Kopf schief. »Du sagst also, du hasst sie alle. Und was ist mit Grenjo?«
Der Name fiel wie ein Stein durch Nills Körper.
Sie hatte schon an ihn gedacht. Bestimmt hundertmal, seit sie wieder in den Dunklen Wäldern war.
Sie öffnete den Mund, aber ihre Stimme klang erstickt. »Wie geht es ihm?«
»Grenjo ist tot.«
Das Schwert glitt ihr aus der Hand und die Klinge stieß dumpf in den Schnee. »Tot?« Sie war überrascht, als sie plötzlich alles durch einen Tränenschleier sah. »Aber … wie?«
»Er ist zur Jagd in den Wald gegangen und nicht wiedergekehrt. Das war im Sommer. Vielleicht ist er in eine Schlucht gestürzt, vielleicht im Fluss ertrunken. Vielleicht war es ja seine Absicht, wer weiß.«
Tot … Grenjo! Und Nill hatte es die ganze Zeit über nicht gewusst. Während er gestorben war, hatte sie sich irgendwo durch den Schlamm gekämpft und an nichts anderes gedacht als an den Steindorn und ihr Abenteuer.
Nill wischte sich mit dem Ärmel über Augen und Nase. »War er … war er mein Vater?«, flüsterte sie.
Das Licht der Laterne schwenkte über ihr Gesicht.
»Würde die Antwort einen Unterschied machen?«, flüsterte Celdwyn zurück.
»Nein.« Nill ließ sich auf die Knie fallen. Ihre Hände waren ganz rot, als sie sich im Schnee
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