Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
enttäuscht sah Kaveh über das Feuer hinweg. Nill beschloss die Stille mit einer Frage zu
vertreiben: »Was ist passiert? Was wollt ihr von mir?«
Bevor Erijel etwas erklären konnte, hielt Kaveh ihm in einer gebieterischen Geste den Arm vor die Brust (wobei er nicht ausließ, ihm auch noch einen kräftigen Ellbogenstoß zu verpassen). »Wir sind zu-fällig an deinem Lager am Fluss vorbeigekommen, wie es scheint. Du musst uns gehört haben und hast Steine geworfen.« Kaveh lachte kurz. »Bei allen guten Baumgeistern, wirklich, du hättest mir fast den Schädel eingehauen.«
»Du bist auch geflohen«, fügte Erijel trocken hinzu. »Und hätte Kaveh« – dabei warf er ihm einen Blick zu – »dich nicht aus dem Wasser gefischt, hätte die Strömung dich ans nächste Ufer gespült. Mause-tot.«
Nill versuchte, die Zunge vom Gaumen zu lösen.
»Also … seid ihr zufällig in der Nähe gewesen?«
Die beiden Zwillinge Mareju und Arjas sahen sich an. Dann wandten sie sich wie Erijel Prinz Kaveh zu.
»Ja«, entfuhr es ihm. »Also … Ja! Wir sind nämlich …«
In diesem Augenblick begann es laut hinter Nill zu rascheln. Zweige brachen, dann tauchte etwas hinter den Wurzeln auf. Etwas Großes, Dunkles. Nill stieß einen erstickten Schrei aus und sprang auf die Füße.
Noch bevor sie erkannte, was für ein Tier da hinter ihr aus dem Unterholz gebrochen war, hörte sie Kavehs herzliches Gelächter.
»Bruno! Das ist nur Bruno, der tut dir nichts!«
»Wer ist Bruno?«, entgegnete sie schrill, erkannte aber schon, dass Bruno ein Wildschwein war.
Kaveh breitete die Arme aus und schlang sie um das schwere, schnaubende Tier. Der Keiler mochte so groß wie ein Schaf in voller Wollpracht sein – und genauso breit. Ein Paar mächtiger gelber Hauer ragte neben dem Rüssel hervor, der unaufhörlich schnüffelte und schniefte. Um seinen umfangreichen Bauch waren zwei Taschen geschnürt. Das leise Klirren von Geschirr begleitete jede seiner Bewegungen. Das Wildschwein trappelte einmal um Kaveh herum, stupste dann seinen Arm an und drängelte seine Schnauze unter Kavehs Hand. Nill entschied sich endlich für ein verblüfftes Lachen.
Da stand sie dann mit feuchten Haaren und ein wenig hilflos, während die Blicke von vier Fremden und einem Wildschwein auf ihr ruhten.
Der Geleitschutz
Dichte graue Nebelschwaden zogen sich durch die Wälder und verschluckten die Geräusche des anbrechenden Tages. Die Welt schien wie versunken in einen regungslosen Schlaf. Nill hatte sich zögernd am Feuer der Elfen niedergelassen. Was sollte sie auch anderes tun? Sie war noch kalt und feucht vom Fall ins Wasser, und sie wusste nicht, wo ihre Sachen waren.
Außerdem ging keine Gefahr von den Elfen aus –
jedenfalls schien das Gesicht des Prinzen das zu sa-
gen. Seine Worte und Blicke waren so vorsichtig, als wende er sich an ein verletztes Reh.
»Nun weißt du also, wer wir alle sind«, sagte Kaveh, einen Arm noch immer über sein Wildschwein gelegt. »Willst du uns jetzt auch verraten, wie dein Name lautet?«
»Nill«, antwortete Nill scheu.
»Nill?« Die Brauen des Elfen runzelten sich. »Das ist ja elfisch! Das bedeutet …« Er verstummte.
Nill fühlte einen Kloß im Hals. »Was bedeutet das? Mein Name hat eine Bedeutung?«
Kaveh blickte irritiert zu den Zwillingen hinüber und wieder zu Nill. Er schluckte. »Nun ja … das heißt … das bedeutet so etwas wie … Also, ich meine, bestimmt hat dein Name eine ganz andere Bedeutung, das ist ja sicher ein Zufall«, faselte er und räusperte sich. »Nill, also, bedeutet … schmutziges …
Blut.«
»Oh«, hauchte sie und senkte den Kopf.
Schmutziges Blut … Ein bitteres Lächeln grub sich in Nills Züge. Man hatte sie ihr ganzes Leben lang so genannt. Und jetzt erfuhr sie, dass ihr Name selbst nichts anderes bedeutete. Sie schämte sich in Grund und Boden und war gar nicht mehr fähig, irgendetwas zu sagen. Selbst das unsichere Schweigen der Elfen brachte sie vor Scham zum Glühen.
»Wieso heißt du so?«, fragte Kaveh schließlich. Sie wagte einen Blick durch ihre Haare. Aber sie entdeckte nicht den erwarteten Spott. Nicht einmal ein verkniffenes Grinsen. Sie presste die Lippen fest aufeinander.
»Oh. Oh …« Sein Gesicht überschattete Mitgefühl. »Ich verstehe. Du … du bist keine Elfe. Aber auch kein Mensch.« Erst nachdem Kaveh sie eine Weile gedankenversunken angeblickt hatte, wurde ihm bewusst, was er da gesagt hatte. »Ich meine, du bist natürlich schon ein Mensch und
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