Nybbas Nächte
Stolz.“
Sie starrte ihn an, ihre Augen schwarz und im Licht einer Straßenlaterne vor Nässe glänzend.
„Ich laufe feige vor den Konsequenzen meines Handelns weg, um dich in Sicherheit zu bringen. All das, was ich jahrhundertelang für meine Stärken hielt, habe ich weggeworfen und mit Füßen getreten. Hast du die geringste Vorstellung, wie sich das anfühlt? Und ich tue es gern. Aber nicht aus Schuld, Joana. Ich bin dir nichts schuldig. Ich bin niemandem etwas schuldig.“
Wie ruhig sie blieb, während er sie anbrüllte. Sie war so sonderbar, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben. „Ich … liebe dich nur. Das reicht mir und es wird auch dir reichen müssen. Mehr kann ich dir nicht geben, denn mehr habe ich nicht.“
Zwei Tränen liefen über ihre Wangen. „Und wenn ich dich bitten würde, es nicht zu tun?“
Dann war vermutlich alles verloren.
Es war erschreckend, wie schnell Wut sich in Nichts auflösen konnte. So rasch wie ein Schatten, den fließendes Licht verschlang. Er folgte einer feuchten Tränenspur mit den Fingern.
„Tu das nicht. Tu mir das nicht an. Darum bitte ich dich.“
„Okay“, gab sie nach einigen Minuten des Schweigens zurück. „Geh, wenn du musst. Komm nur zurück.“
23
„M
ädel, du läufst Spuren in den Teppich.“
Joana kommentierte Elias’ Worte mit einem Blick voller Vorwürfe. Sie verstand nicht, dass er sich mit einem von Ruts Büchern auf dem Sofa ausstreckte, während Nicholas auf dem Weg zu Choskeih war. Lieber pflegte sie ihre Angst, indem sie sich ihr auslieferte. Sinnlos, oder wurde es dadurch etwa besser? Sie konnten nun beide nichts anderes tun, als abzuwarten. Elias sah keinen Sinn darin, diese Zeit durch Panik in die Länge zu ziehen. Außerdem fand er es interessant, durch die Clerica-Bücher zu erfahren, wie die Jäger wirklich über Dämonen dachten. Vorurteile über Vorurteile!
Er hätte sich über die halbwahren Darstellungen geärgert, wenn sie nicht eine gute Ablenkung gewesen wären. Elias steckte seine Nase wieder tief ins Buch.
Joana blieb mit verschränkten Armen stehen. „Du hast wohl nie Angst, was?“
Elias klimperte affektiert mit den Wimpern. „Engel haben keine Angst. Wovor auch? Vorm Himmel?“
„Für gewöhnlich lügen sie auch nicht.“
Da war etwas dran. Er seufzte, versuchte, es genervt klingen zu lassen. Aber ihr Blick machte klar, dass sie ihn durchschaute. Ob Engel Angst empfinden konnten, wusste Elias nicht. Dämonische Racheengel konnten es.
„Was, wenn Nicholas nicht zurückkommt?“, fragte Joana und ließ sich in einen Sessel fallen. Die Polsterfedern quietschten schrill auf und sie sank so tief nach unten, dass sie fast in dem Möbelstück verschwand. „Er ist so aufbrausend, er denkt nicht nach, bevor er sich in Gefahr begibt.“
„Das glaubst du nur“, erwiderte Elias, ohne von seinem Buch aufzusehen. „In Wahrheit entscheidet er lediglich schnell.“
Joana schnaubte. „Ja, und dabei denkt er an alles, nur nicht an seine Sicherheit. Ich begreife nicht, wie er so sehr von sich überzeugt sein kann, und im nächsten Moment losmarschiert und sich opfert.“
Er schützt kompromisslos, was ihm gehört, dachte Elias, aber er sprach diese Worte nicht aus. Stattdessen sagte er: „Du musst begreifen, dass wir anders funktionieren als ihr Menschen. Wir sind nicht aus dem Drang zu leben auf die Welt gekommen, sondern durch die Wünsche anderer. Wir wurden gerufen, um Aufgaben zu erfüllen und Befehle auszuführen. Wir“, er spürte, wie seine Stimme dünner wurde und räusperte sich, „verlieren mit dem Nekromanten, der uns rief, auch den Sinn unserer Existenz. Viele überleben diese Bewährungsprobe nicht. Wenn wir einen neuen Sinn gefunden haben, verteidigen wir ihn mit allem, was wir haben. Bis zum Letzten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Für viele wird Macht oder Geld zu diesem Sinn, doch Nicholas hat sich nie etwas daraus gemacht. Er glaubte, er wollte gar keinen Sinn, weil dieser gleichzeitig auch einengt. Wer einen Sinn im Leben hat, kann nie vollkommen frei sein. Das kapierst du doch, oder? Was dir etwas bedeutet, bindet dich.“ Elias hob den Kopf und betrachtete Joana, die die Arme verschränkt hatte und die Finger in ihre Oberarme grub. „Nicholas’ Sinn hat ihn offenbar trotzdem gefunden. Daran ist nichts zu ändern.“
Sie sah ihn aus großen Augen lange an. „Warum erklärt er es mir nicht so wie du?“
„Erklärst du ihm, wie deine Gefühlswelt sich dreht? Nein, das tust du nicht,
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