Nybbas Nächte
legte diese wie Lesezeichen an die Stellen, an denen die Seiten fehlten. Dann sah er den vorderen Bereich beider Bücher durch. Als hätte man ihm eine Vermutung bestätigt, nickte er.
„Schau her“, wies er Joana an. „Die zur damaligen Zeit bekannten Dämonen sind in beiden Büchern alphabetisch geordnet. Im vorderen Bereich, wo das Gegenstück der Seite fehlt, befinden wir uns einmal beim Buchstaben E und einmal bei F. Hier fehlen also Informationen zu zwei verschiedenen Dämonen. Aber jetzt halt dich fest!“ Er schlug wieder die markierten Stellen in beiden Büchern auf. „Der letzte Eintrag vor der entfernten Seite ist in beiden Büchern ‚Sparatan‘. Danach folgt“, er schlug die Seite so hastig um, dass sie am Rand einriss, „die ‚Sphinx‘.“
Joanas Herz schlug plötzlich schneller. „Jemand hat gezielt Informationen über einen bestimmten Dämon aus diesen Büchern herausgerissen. Aber wer? Und warum?“
„Ich hab ein paar Ideen“, meinte Elias. „Aber keine davon gefällt mir. Wir müssen herausfinden, wessen Existenz Rut hier verheimlichen will.“
Joana wollte nicht glauben, dass die alte Clerica etwas damit zu tun hatte. „Rut hat mir diese Bücher immer wieder gegeben, und sie hatte auch nichts dagegen, als Nicholas und du darin lesen wolltet. Wenn sie die Seiten herausgetrennt hat, dann bedeutet es nichts.“
Elias zog die Stirn kraus. „Wer sagt, dass Rut nicht ebenso getäuscht wurde?“
„Aber wer sollte …?“ Dass sich unweigerlich der Name Sunna in ihre Gedanken drängte, behagte ihr nicht. Entschlossen griff sie zum Telefon.
„Was hast du vor?“, rief Elias erschrocken. „Verdammt, mach bloß keinen Mist. Denk an mögliche Rückverfolgung der Anrufe.“
„Ich habe nicht den Eindruck, dass wir auf dieses Risiko jetzt Rücksicht nehmen können.“ Joana wählte mit fliegenden Fingern die Nummer ihrer Mutter und wartete, bis diese sich endlich meldete. „Mama? Ich brauche deine Hilfe. Schnell. Ich erkläre dir alles später, frag jetzt nichts. Du musst eine Telefonnummer für mich herausfinden.“
Wenig später wählte Joana erneut eine deutsche Nummer. Ihr Herz raste. Ob Tina ihr helfen würde, stand in den Sternen. Es war unwahrscheinlich, denn Tina war Ratsmitglied bei den Clerica. Aber Joana wusstenicht, wen sie sonst anrufen sollte. Tina war zumindest freundlich zu ihr gewesen, als man sie im Sommer ins Haupthaus entführt hatte.
„Ja hallo? Momentchen bitte“, hörte Joana Tinas Stimme, dann sprach diese leicht gedämpft weiter. „Nein, mein Schatz, die Fernsehzeitung kannst du nicht essen. Hier hast du deinen Beißring, lass Mutti telefonieren.“ Ein kleines Kind brabbelte vergnügt im Hintergrund. Dann sprach Tina wieder in den Hörer. „So, jetzt höre ich. Wer ist denn da?“
„Joana.“
„Jo… wer bitte?“
„Du hast mich schon verstanden. Ich brauche deine Hilfe, Tina. Nur eine Kleinigkeit.“
Tina zischte verächtlich in den Hörer. „Du hast Nerven, mich um Hilfe anzubetteln. Du glaubst, ich helfe Verrätern? Du hast einem dieser Ungeheuer zur Flucht verholfen.“
Das stimmte nicht ganz. Es waren zwei, und noch ein weiterer Dämon war ihretwegen entkommen. Aber das musste Tina, deren Sohn im Hintergrund begeistert quietschte, nicht wissen. „Er hat mir auch geholfen, Tina. Er hat mir damals das Leben gerettet, während ich in eurem Hauptquartier fast umgebracht worden wäre.“ Joana biss die Zähne zusammen, als sie sich daran erinnerte. „Für das Verbrechen, keine Weiße zu sein.“
„Das stimmt nicht“, echauffierte sich Tina, aber Joana hörte ihr an, dass auch sie mit Unbehagen an den Tag zurückdachte. „Arnd hat dich angegriffen, weil er dir den Verrat ansah, und …“
„Spar dir das. Du weißt, dass es nicht stimmt, denn du hast gehört, wie er mich damals nannte.“
Tina schwieg für lange, entnervende Sekunden.
„Eine winzige Information, mehr will ich nicht“, bat Joana und setzte nach, da Tina nicht antwortete. „Niemand wird je davon erfahren. Bitte, Tina. Ich habe so gut wie keine Clerica-Kräfte und stecke tief im Schlamassel.“
Tina japste erschrocken auf. „Du bist schwanger, oder?“
„Wie bitte?“ Joana fragte sich, wie sie denn nun darauf kam. „Ich …“
„Aber doch wohl nicht von einer dieser Bestien!“ Tina klang, als stünde sie kurz vor einem hysterischen Anfall.
„Natürlich nicht!“ Auf die Vermutungen fiel ihr keine Antwort ein. Erneutes Schweigen dehnte die Zeit und Joana
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