Nybbas Nächte
ausgedörrtes Flussbett. Er hatte es nicht tun wollen und doch keinen Moment gezögert.
Blut quoll aus seinem Unterarm, rann in die offenstehenden Augen des getöteten Skröggandi und verdunkelte sie. Der Geruch von Tod kroch in Nicholas’ Atemwege. Verursachte Übelkeit. Tief in seinem Inneren grollte der Nybbas gierig nach Blut und ließ Nicholas endgültig würgen.
Nein, der menschliche Körper war nicht zum Töten bestimmt. Nicholas wollte das nicht. Alles, was er brauchte, war Demjan Choskeih, und dies nur aus einem einzigen Grund: Um seine Frau zu schützen. Niemandem sonst wollte er etwas antun, nicht hier und jetzt. Töten konnte sich fantastisch anfühlen. Aber es war ein abgrundtief beschissenes Gefühl, Wesen zu töten, die man nicht töten wollte. Joana hatte recht gehabt. Sie starben alle schuldlos. Sinnlos. Die Erkenntnis, dass es ihm leid um sie tat, schockierte ihn.
„Die Vorhut hätten wir ausgespielt“, meinte Tomte trocken und wischte sich die Handflächen an der Hose ab. „Weitere formieren sich vermutlich bereits um Demjan herum.“
Nicholas kam auf die Füße und schob den besudelten Fuchsschädel mit dem Fuß beiseite. Gewaltsam zwang er die Gedanken aus seinem Kopf und die Kontrolle zurück in seinen rechten Arm. Er schmerzte, als tauchte er ihn in weißglühende Kohlen. Als fräße sich die Glut durch den Knochen bis in seinen Brustkorb. Doch die Faust ließ sich ballen. Was brauchte er mehr?
„Dann lassen wir sie mal nicht warten.“
Joanas Unterarme zitterten, so fest umklammerte sie das Lenkrad. Es war eine Herausforderung, die Spur zu halten. Unter dem Gaspedal hörte sie Rost bröckeln, wenn sie es bis ans Bodenblech durchtrat, und die Drehzahlen in die Höhe trieb. Sie hatte durchaus schon in älteren Autos gesessen, doch dass dieser Wagen überhaupt noch fuhr, kam einem Wunder gleich. Ganz zu schweigen davon, dass er sie und Elias mit 120 Sachen über die Schotterwege zu Demjans Bergfeste brachte, ohne dabei in seine Einzelteile zu zerfallen.
„Geht’s nicht schneller?“, brüllte Elias gegen das Klappern des Wagens an.
Joana hätte ihm am liebsten den Mund verboten. „Nur wenn du im Graben landen willst. Überleg dir lieber, was wir tun sollen, wenn wir da sind, statt mich nervös zu machen. Es reicht auch so.“
Darauf antwortete Elias mit Schweigen. Sie hatten beide keine Idee. In die Feste zu spazieren und laut herauszuschreien, dass es nicht Demjan war, der sie manipuliert hatte, sondern Sunna mittels Nicholas’ Fähigkeiten, war Joanas einziger Plan. Was ihn Nicholas früheren Worten folgend zum besten Plan machte. Na fantastisch.
Dass sie vor kurzer Zeit noch geglaubt hatte, zwischen ihr und Sunna würde eine zaghafte Freundschaft aufkeimen, ließ Joana vor Wut noch brutaler gegen das Gaspedal treten. Unter dem Zorn ließ sich die Enttäuschung gut verbergen; ohne Wut im Bauch wäre sie in Tränen ausgebrochen. Sie fragte sich, ob auch Rut etwas mit dem bösen Spiel zu tun hatte. Die Erinnerung an die Schnitte in Ruts Arm ließ jedoch einen anderen Verdacht aufkommen. Sunna hatte sie vermutlich nur manipulieren können, da sie neben Nicholas’ Blut auch Ruts getrunken hatte, und damit auch gewisse Kräfte einer Clerica spiegelte. Sie hatte Nicholas’ Fähigkeit der Geistesmanipulation nur anwenden können, weil Ruts Clericablut dafür sorgte, dass Joana nicht wie sonst immun gegen die dämonischen Kräfte war. Sunna hatte die Fähigkeiten von Clerica und Dämon vermischt, ein Cocktail, der es ihr ermöglichte, sie alle hinters Licht zu führen. Aber warum?
Sie schüttelte den Kopf und versuchte ihren Kiefer zu entspannen, der durch das Zusammenbeißen der Zähne schmerzte. Fragen konnte sie später stellen, nun war nur eines von Bedeutung: Rechtzeitig anzukommen.
Das Heck rutschte weg, als sie einen Straßenschlenker mit Höchstgeschwindigkeit nahm. Elias krallte sich in die Türgriffe und fluchte. Doch die Bergkette, in der Demjans Feste lag, baute sich nun schon groß, dunkel und drohend vor dem grauen Abendhimmel auf, durch den erste Sterne blinzelten. Joana wollte keine Sekunde auf der Straße liegen lassen.
Zu Nicholas’ Überraschung gelangten sie ungehindert bis zu Demjans Büro. Das Empfangskomitee bestand lediglich aus vier Füchsen, die ihnen mit gebleckten Zähnen entgegenstürmten. Vier Schüsse später war der Weg frei. Während er seine Waffe nachlud, registrierte Nicholas unbehaglich, dass die Munition knapp werden würde, sollte Demjan
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