Nybbas Nächte
rollte in Schrittgeschwindigkeit neben ihm her. Scheiße, es war der Jaguar. Erwusste nicht gleich, warum, aber es fühlte sich mies an. Der Schatten in seinem Inneren schmolz zusammen, als wollte er seine Präsenz verbergen. Elias ließ den Blick nach links schweifen, fort von dem Wagen, der sich beharrlich neben ihm hielt.
Hinter der Hungerbridge malte das gewaltige Riesenrad London Eye einen blau leuchtenden Zwilling in die Themse. Der Westminster-Palast hob sich golden vor dem wolkenverhangenen Nachthimmel ab. In gewisser Weise schien ihn diese Richtung zu rufen.
Komm schon, lass den Körper fallen, hau nur schnell ab da.
Er tat es nicht, überzeugt, dass eine Flucht aussichtslos war. Der Jaguar rollte noch, doch nun öffnete sich die hintere Tür und eine zierliche Frau setzte mit einem geschmeidigen Sprung hinaus. Sie sprach ihn an, doch er musste zunächst den Kopfhörer aus dem Ohr ziehen, um sie zu verstehen, und außerdem achtgeben, dass ihm der Mund nicht aufklappte. Die junge Frau verkörperte optische Perfektion. Mit ihren langen, gewellten blonden Haaren, den großen braunen Augen und der milchweißen Haut war sie das schönste Wesen, das ihm je unter die Augen gekommen war. Gleichzeitig verströmte sie eine Energie, die so machtvoll und finster war, dass ihm übel wurde. Es war, als ginge ein unerträglicher Gestank von ihr aus, nur dass es nichts nützen würde, die Luft anzuhalten, weil dieser Geruch ihm durch jede Pore in den Körper drang. Elias war der Ilyan, ein Racheengel – und ihm gegenüber stand ein Wesen, an welchem es nicht möglich war, sich zu rächen, obwohl es dies mehr verdient hatte als irgendjemand sonst auf der Welt.
„Du bist also Elias“, sagte sie sanft und trat an seine Seite.
Zusammen gingen sie weiter die Brücke entlang, gaben nichts auf das Hupen, mit dem andere Autos am Jaguar vorbeifuhren, der immer noch neben ihnen blieb. Elias’ Hände schwitzten, er grub sie tiefer in die Taschen seines Parkas.
Als er nicht antwortete, lächelte sie. „Ich hörte, du suchst nach mir. Du mischst meine Inanen auf, ich weiß nicht, ob ich das gutheißen kann.“
Er fragte nicht nach ihrem Namen. Bei der Kraft, die sie ausstrahlte, kamen ohnehin nicht viele infrage. Allenfalls sieben, wenn man die Macht, Inanen zu schaffen bedachte, dann noch weniger. Der erste Name, der ihm einfiel, war der Letzte, mit dem er es hätte aufnehmen können.
„Du fürchtest dich ja vor mir“, stellte sie amüsiert fest. „Das ist gut. Sehr vernünftig. Ich wünschte, alle wären so respektvoll wie du, mein Kleiner, dann hätte ich weit weniger Scherereien.“
„Ich mach niemandem Scherereien“, murmelte Elias. Scheiße, er machte sich fast in die Hose und schämte sich für seine Feigheit. Er biss die Zähne zusammen und überlegte, was Nicholas in dieser Situation tun würde.
„Oh, da kenne ich dich aber besser, Elias. Ich weiß so einiges von dir.“
„Lass mich raten. Von der Nabeshima.“ Es war typisch für die Dämonin, die sich früher Lillian genannt hatte, sich mächtige Freunde zu suchen. Mit den Informationen über Nicholas und seine Droge galt die Freundschaft zu ihr vermutlich als wertvoll. „Von ihr hast du auch die Zusammensetzung von Obs11. Was musstet ihr an der Rezeptur ändern, damit es wirkt, ohne die Leute umzubringen?“
„Das wissen wir noch nicht.“ Sie seufzte, aber es schien ihr keine Sorgen zu bereiten. „Wir haben Wissenschaftler in den Reihen unserer Anhänger, so fähig wie willfährig. Eine von Englands vielversprechendsten Forschungsinstitutionen hat keine anderen Ziele, außer mich glücklich zu machen. Und doch ist es uns noch nicht gelungen, Obsequium11 vollständig auszuarbeiten. Bei normalen Menschen wirkt es nicht. Ihr Herz hält der Belastung nicht stand. Inanen allerdings sind nicht so empfindlich, bei ihnen funktioniert es ausgezeichnet.“
Nicht dumm. Elias wollte anerkennend pfeifen, doch seine Lippen waren so trocken, dass der Versuch misslang. Er konzentrierte sich auf das Geräusch, das ihre Füße auf dem Asphalt verursachten. Es hatte etwas Beruhigendes.
Die Frau hob eine Hand und berührte seinen Oberarm. „Du zitterst vor Furcht, mein Junge. Vielleicht musst du dich gar nicht vor mir fürchten.“
Im Licht eines vorbeifahrenden Motorrollers riskierte er einen knappen Blick in ihre Augen. Sie waren warm, erinnerten ihn an süße, geschmolzene Milchschokolade und machten keinen hinterlistigen Eindruck. Nein, sie zeigte ganz offen,
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