Nybbas Nächte
dass sie mit analytischer Präzision in seinem Gesicht forschte. Sie konnte seine Gedanken nicht lesen, doch sie las in seinen Zügen, und ihm war klar, dass ihr nichts von dem entgehen würde, was er dachte.
„Wir sind uns sehr ähnlich, du und ich.“ Ihre Hand ruhte immer noch auf seinem Arm, als wollte sie ihn führen. „Und du verfügst über etwas, das ich gerne hätte. Nichts Bedeutsames, es ist nur ein Kontakt.“
Luzifer. Er hatte es vermutet, aber ihre Worte bliesen die Ahnung davon und legten Gewissheit frei. Er sprach mit dem ersten Fürsten, dem Luzifer. Der hinter Nicholas her war.
„Ich weiß nicht, wo der Nybbas zu finden ist“, log er unwillkürlich. „Ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste, denn ich hasse ihn schon lange, aber …“
Sie unterbrach ihn mit einem Schnalzen ihrer Zunge. „Hat es sich also erneut als Märchen herausgestellt, dass Engel immer die Wahrheit sagen? Böser Junge. Ich würde es bedauern, mich ernsthaft über dich ärgern zu müssen, Elias, also sei ehrlich zu mir.“
Sie sprach mit ihm wie mit einem Welpen, den man zwar schimpfen musste, ihm aber nicht böse sein konnte. Doch das täuschte. Der Luzifer konnte mehr als nur böse werden. Elias lief Schweiß zwischen den Schulterblättern hinab. Angstschweiß. Nun dankte er dem Regen, denn ansonsten würde sie sehen, dass auch seine Stirn feucht war vor Nervosität.
„Was willst du von Nicholas?“
„Nur mit ihm reden, Elias.“ Sie sprach so glaubhaft, dass er ihr gerne vertraut hätte. „Über alte Zeiten. Leider gibt es ein Problem. Du weißt, wovon ich rede. Dasselbe Problem hält auch dich von ihm fern, habe ich recht?“
„Joana?“ Elias entwich ein Schnauben. Sie hatte recht, Joana machte Nicholas für sie beide unerreichbar, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Nicholas war ihm gegenüber nie wirklich offen gewesen, aber seitdem Joana an seiner Seite war, trat er ihn mit Füßen. Er hatte Elias nun nicht mehr nötig.
„Es war ein kluger Schachzug von ihm, sich mit einer Jägerin zu verbünden“, sagte sie. „Ein Dämon ist besiegbar, eine Clerica ebenso. Doch wenn sie ihre Kräfte vereinen, hat diese Mischung das Potenzial großer Macht. Ich wusste immer, dass er gerissen ist, doch mit diesem Clou hat dieser Gauner selbst mich überrascht.“
Elias erwähnte nicht, was wirklich hinter dieser Beziehung stand. Sein Schweigen war es, das zu viel verriet.
„Dann lebt sie also noch.“ Die Frau sah ihn scharf an und er begriff zu spät, dass die Chance, für Joanas Sicherheit zu lügen, vertan war. Er wandte den Blick ab.
„Dir ist doch klar, dass ich ihn aufhalten muss, Elias. Als Fürst habe ich Macht, die mit Verantwortung einhergeht. Die Verbindung von Dämon und Clerica ist gefährlich für unsere Art sowie für die Menschen. Wer sollte sie aufhalten, wenn sie gegenseitig ihre Schwachstellen schützen? Mische ich mich nicht ein, können sie unaufhaltsam werden. Das dürfen wir nicht zulassen. Du weißt das.“
Für einen Moment betrachtete er seine Spiegelung, die sich verzerrt auf dem nassen Lack des Jaguars abzeichnete. Konnte er zum Verräter werden? Er hatte Nicholas oft verraten wollen, und es in letzter Konsequenz doch nie über sich gebracht. Aber zuvor hatte ihm auch nie der Luzifer einen Pakt angeboten. Einen Fürsten abzuweisen war Selbstmord und das ließ sie ihn mit zuckersüßer Stimme wissen.
„Nur wenige, Elias, haben die Möglichkeit, sich an meinen gedeckten Tisch zu setzen, obschon sie genauso gut auf der Speisekarte stehen könnten. Verspiel diese Einladung nicht unbedarft.“
Es wäre so leicht, ihr zu verraten, dass Joana keine vollwertige Clerica war und es kaum schaffte, ihre Kräfte zu nutzen. Nicholas zu verraten wäre die eine Sache gewesen. Er hätte es sofort getan, ehe er es sich anders überlegen konnte. Wäre es doch die ideale, weil einzige Möglichkeit, diese aussichtslosen Gefühle für ihn endgültig loszuwerden. Joana jedoch, die sich auch gegen ihren aufbrausenden Dämonenfreund auf Elias’ Seite gestellt hatte, würde dieser Verrat das Leben kosten. Sie war freundlich zu ihm gewesen, was er weder verdient hatte noch gewöhnt war. Aber er hatte diese Freundlichkeit bitter nötig gehabt. Elias war nicht sicher, ob es das wert war. Er brauchte Zeit, um nachzudenken.
„Hör mal, Engelchen.“ Mit einer Geste bat sie ihn, stehen zu bleiben. Sie hatten das Ende der Brücke erreicht und, wie könnte es anders sein, hielt auch der Jaguar prompt
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