Nybbas Nächte
war nicht sicher, ob sie es tun würde. Fakt war, sie wollte es tun; ebenso sehr, wie er sie packen, schütteln und schlagen wollte, um ihr den Verrat an ihm auszutreiben.
Noch einmal versuchte er, ihre Gefühle zu bestimmen, er stieß auf Scham und Erschrecken. Sinnlos, daraus ihre Unschuld lesen zu wollen. Wunschdenken war etwas für Menschen, die redeten sich schließlich alles wahr. Ihr Geruch schmerzte in seiner Brust, ihre Anwesenheit brannte im Inneren seiner Knochen. Er musste hier raus, wenn er nicht lernen wollte, was es heißt zu bereuen.
„Wenn du mich bannst, Clerica“, stieß er abfällig hervor, „dann versteck mich gut und weit weg von dir. Sorge dafür, dass ich dich nie wieder sehen muss. Und dass ich dich niemals finde.“
Nicholas ging!
Fassungslos lauschte Joana den leiser werdenden Schritten. Ihre Chance, ihn aufzuhalten entfernte sich mit ihm und sie konnte nichts tun. Nichts. Sie hatte es nicht über sich gebracht, einen Bann zu versuchen, um ihn festzuhalten und es ihm zu erklären. Ja, was sollte sie ihm auch erklären? Sie verstand selbst nicht, was geschehen war. Aus einem Traum erwacht, hatte sie sich halb nackt in einem fremden Bett wiedergefunden. Ohne eine Ahnung, wie sie dorthin gelangt war. In keinem Fall freiwillig, daher gab es nur eine logische Erklärung. Jemand hatte sie manipuliert, auch wenn dies eigentlich nicht sein durfte. Sie war eine Clerica. Dämonen konnten sie nicht manipulieren, jeden Versuch hätte sie gespürt. Selbst Nicholas gelang es nur, wenn sie es zuließ. Niemand war in ihrer Nähe gewesen, es war nicht möglich, dass man sie manipuliert hatte. Wer auch immer es war, er missachtete die Regeln, die Joana für sicher gehalten hatte, und trat das mit Füßen, woran sie glaubte. Die Wut darüber drang auf ihr Entsetzen ein und ließ sie die Fäuste ballen.
Womöglich hatte man ihr etwas ins Essen gemischt. Wie auch immer, sie durfte keinesfalls hierbleiben.
Um sie herum lagen blutrote Porzellanscherben auf dem hellen Teppich, wie dornige Rosen im Brautbett. Mühsam kämpfte sie sich auf die Füße. In ihrem Kopf schien ein schwarzes Loch zu wüten und gierig alle vernünftigen Gedanken zu verschlingen. Sie musste hier raus. Alles andere wurde unwichtig. Der Berg über ihr schien mit einem Mal keine sichere Zuflucht mehr, sondern ein tonnenschweres Gewicht, welches jederzeit über ihr zusammenbrechen könnte. Vielleicht war es das auch längst.
Nicholas’ Gesicht war von solch eisiger Kälte gewesen, wie sie nur jemand zur Schau stellen konnte, der innerlich verbrannte. Was immer geschehen war, es hatte ihm schreckliche Qualen verursacht. Sie musste das richtigstellen. Irgendwo musste es einen Weg geben, alles zu erklären.
Hastig schlüpfte sie in ihre Kleidung, griff nach Schal und Jacke und stürmte über die Gänge. Sie begegnete niemandem. Die meisten Fuchsdämonen waren noch auf der rituellen Jagd, alle anderen in den Zimmern, aus denen vereinzelt eindeutige Geräusche drangen. Joana hetzte zum Ausgang. Das Tor stand offen und vor dem Höhleneingang wiesen Reifenspuren darauf hin, dass kürzlich ein Quad den Berg verlassen hatte. Gummi auf dem Steinboden und Kratzer sowie die Spuren von blauem Lack zeigten, dass das Gefährt in derKurve ins Schleudern geraten und gegen die Wand geprallt war. Nicholas.
Den Wagen hatte er stehen lassen, er parkte im üblichen Versteck hinter einer zerzausten Dornenhecke. Erst als sie am Türgriff rüttelte, fiel Joana ein, dass sie den Autoschlüssel nicht dabeihatte. Doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie riss sich den Schal, den Sunna ihr geschenkt hatte, vom Hals, wickelte einen faustgroßen Stein hinein und schleuderte ihn ans hintere Fenster auf der Beifahrerseite. Ein Knirschen, ein Scheppern, schon war das Fenster zerstört und Joana öffnete die Tür. Mithilfe des Taschenmessers aus dem Handschuhfach hebelte sie die Plastikverkleidung unter dem Lenkrad auf und legte die Kabel frei, mit denen sich der Wagen zünden ließ. Nie zuvor hatte sie ein Auto kurzgeschlossen, doch da ihr die Technik vertraut war, gelang es beinahe auf Anhieb.
Sie folgte den Reifenspuren des Quads bis zur ersten Abbiegung und fluchte derb. Nicholas war nicht auf der Straße geblieben, sondern querfeldein gefahren. Soweit Joana es im Scheinwerferlicht überblicken konnte, war die Schneeschicht nur hauchdünn und die Bodenbeschaffenheit übersichtlich. Trotzdem würde sie den Spuren mit dem Landrover nicht folgen
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